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So kam der Mensch auf den Hund

Titel: So kam der Mensch auf den Hund
Autoren: Konrad Lorenz
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plötzlich den Hund und schießt wie ein Blitz über
     die Schlammfläche davon, uferzu, Susi gleich einer Rakete hinter ihm drein, und zwar sehr klug nicht direkt auf das Wild zu,
     sondern in einer Richtung, die geeignet ist, ihm den Weg abzuschneiden. Dabei schreit Susi einen Schrei der höchsten Leidenschaft,
     wie ich ihn kaum je von einem Hund gehört habe. Allerdings, hätte sie nicht geschrien, sondern ihre ganze Kraft auf das Laufen
     verwendet, wäre die Ratte ihre Beute geworden, denn kaum einen halben Meter von Susi entfernt, verschwindet die Gejagte in
     ihrem Bau. Susi riecht sehnsüchtig am Eingang der Röhre, wendet sich dann enttäuscht ab und kommt zu mir ins Wasser. Wir fühlen
     beide, daß der Tag uns keinen bedeutenderen Höhepunkt mehr bieten wird.
    Der Pirol singt, die Frösche quaken, und die großen Libellen jagen unter trockenem Schwirren ihrer gläsernen Flügel nach den
     Bremsen, die uns belästigen – mögen sie recht viele erwischen! So liegen wir den ganzen Nachmittag, bald im, bald am Wasser,
     und es gelingt mir, tierischer als ein Tier zu sein, oder doch wenigstens fauler als mein Hund, faul wie ein Krokodil.
    Dies wird Susi allmählich doch zu langweilig. Sie beginnt, da ihr nichts Besseres einfällt, Frösche zu jagen, die, durch die
     lange Bewegungslosigkeit sicher geworden, um uns ihr Wesen treiben. Susi schleicht auf den nächsten Frosch zu und versucht
     schließlich, ihn mit dem großen Mäusesprung zu bekommen. Möglich, daß sie den Frosch mit den Vorderpfoten auf den Kopf getroffen
     hat; da aber das Wasser kein festes Widerlager gewährt, geschieht dem Frosch gar nichts, und er taucht unbeschädigt weg. Susi
     schüttelt das Wasser aus den Augen und sieht sich um, wo der Frosch etwa geblieben sein mag. Da sieht sie ihn – oder glaubt
     wenigstens ihn zu sehen   –, weil der mitten aus dem Tümpel ragende Kopftrieb einer Wasserminze für das schlechte Auge eines Hundes einem stillsitzenden
     Frosch nicht unähnlich ist. Susi beäugt das Ding mit schiefgehaltenem Kopf, erst rechts, dann links, |130| langsam, ganz langsam steigt sie in das Wasser und schwimmt zur Pflanze hin, beißt hinein, sieht wehleidig nach mir, ob ich
     etwa über ihren blamablen Irrtum lache, schwimmt wieder ans Ufer und legt sich neben mir nieder. Da sage ich: »Gehen wir nach
     Hause?« Schon springt Susi empor und bezeugt mit allen ihr verfügbaren Ausdrucksmitteln ihr Einverständnis. Wir bahnen uns
     den Weg durch den Dschungel, weit oberhalb Altenbergs steigen wir in den Strom. Susi zeigt keine Furcht mehr. Sie schwimmt
     ruhig und langsam neben mir stromab und läßt sich vom Wasser tragen.
    Wir landen dicht an der Stelle, wo ich Kleider, Netz und Transportkanne zurückgelassen hatte. Rasch verschaffe ich noch meinen
     Fischen ein üppiges Abendbrot aus dem nächsten Tümpel, dann gehen wir im dämmernden Abend tief befriedigt heim, den gleichen
     Weg, den wir gekommen waren. Auf der Mäusewiese hat Susi großen Erfolg: Sie fängt in rascher Folge drei dicke Feldmäuse und
     mag sich so über ihre Mißerfolge mit Bisamratte und Frosch trösten.

|131| Das Tier mit dem Gewissen
    Alle instinktmäßigen Impulse eines wilden Tieres sind so beschaffen, daß sie schließlich zu seinem eigenen Wohle und dem der
     betreffenden Art ausschlagen müssen. Es gibt in seinem Lebensraume keinen Konflikt zwischen natürlichen Neigungen und einem
     »Sollen«, jede innere Regung ist »gut«. Diesen paradiesischen Einklang hat der Mensch verloren. Die spezifisch menschlichen
     Leistungen, Wortsprache und begriffliches Denken, ermöglichten die Anhäufung und die traditionsmäßige Weitergabe eines gemeinsamen
     Wissens. Die daraus folgende
geschichtliche
Entwicklung der Menschheit vollzieht sich um ein Vielfaches schneller als die rein organische, stammesgeschichtliche, aller
     übrigen Lebewesen. Die Instinkte aber, die angeborenen Aktions- und Reaktionsweisen des Menschen, blieben an das bedeutend
     langsamere Entwicklungstempo der Organe gebunden, sie vermochten mit der kulturhistorischen Menschheitsentwicklung nicht Schritt
     zu halten: Die »natürlichen Neigungen« stimmen nicht mehr ganz zu den Bedingungen der Kultur, in die sich der Mensch durch
     seine geistigen Leistungen versetzt hat. Er ist nicht böse von Jugend auf, jedoch nicht gut genug für die Anforderungen der
     kultivierten menschlichen Gesellschaft, die er selbst geschaffen hat. Anders als das wilde Tier, kann der Kulturmensch – und
    
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