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So kam der Mensch auf den Hund

Titel: So kam der Mensch auf den Hund
Autoren: Konrad Lorenz
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die jungen Ratten getötet
     hatte: Sie hatten etwas getan, das zu tun ihnen eine tief im Gefühlsmäßigen verankerte Hemmung verbot. Daß dies aus Versehen
     geschah, sich also vernunftmäßig durchaus entschuldigen ließ, verhinderte bei ihnen ebensowenig eine erhebliche nervliche
     Selbstbeschädigung |136| wie bei mir die vernunftmäßige Rechtfertigung des Rattenkindermordes.
    Auf einem anderen Blatte steht das schlechte Gewissen intelligenter Hunde, wenn sie etwas angestellt haben, das zwar vom Standpunkt
     ihrer angeborenen sozialen Hemmungen durchaus natürlich und erlaubt, aber durch ein dressurmäßig erworbenes »Tabu« verboten
     ist. Jeder Hundefreund kennt die Miene falscher Unschuld und übertriebener Bravheit, die kluge Hunde an den Tag legen, und
     vermag daraus mit Sicherheit zu entnehmen, daß sie kein reines Gewissen haben. Dieses Verhalten wirkt so menschlich und erheiternd,
     daß es einem recht schwer fallen kann, die verdiente Strafe zu vollziehen. Ebenso schwer fällt es mir allerdings auch, ein
     erstmaliges Vergehen zu bestrafen, bei dem der Hund ein gutes Gewissen hat und Strafe nicht erwartet.
    Ein Rüde der älteren Generation meiner Chow-Schäferhund-Kreuzungszucht, Wolf I., war einer der blutgierigsten Jäger, doch
     ist es nie vorgekommen, daß er eines meiner vielen Tiere verletzt hätte, sofern er nur
wußte,
daß das betreffende Wesen unserem Tierbestand angehörte. Bei neuen, ihm unbekannten Pfleglingen dagegen gab es wiederholt
     peinliche Überraschungen. So erbrach Wolf einmal die Tür zur Kammer, in der vier halbwüchsige Pfauhähne eingesperrt waren.
     Glücklicherweise kam ich dazu, als er erst einen getötet hatte. Wolf wurde bestraft und hat künftig die anderen Pfaue niemals
     auch nur eines Blickes gewürdigt.
    Da wir vorher keine Hühnervögel gehalten hatten, zählten die Pfaue für Wolf offenbar nicht zu den unverletzlichen Tieren.
     Übrigens warfen seine Hemmungen, verschiedene Vogelarten zu töten, ein interessantes Licht auf die Fähigkeit des Hundes, Gattungsmäßiges
     zu unterscheiden, bis zu einem gewissen Grade zu »abstrahieren«. Entenvögel waren ihm unter allen Umständen unverletzlich;
     auch bei Arten, die stark von den bisher gehaltenen abwichen, brauchte dem Hunde nicht erst gesagt werden, daß die Neulinge
     zu den vom Gesetz geschützten Tieren gehörten. Deshalb rechnete ich darauf, daß Wolf, nachdem ihm das Töten der Pfaue abdressiert |137| worden war, nunmehr alle Hühnervögel ebenso schonen würde, wie er alle Entenvögel schonte. Dies war jedoch ein Irrtum; denn
     als ich einen Stamm Zwerg-Wyandottes angekauft hatte, die mir verschiedene Enteneier ausbrüten sollten, brach der Hund wieder
     in dieselbe Kammer ein, in der er jenen Pfau erwischt hatte, und brachte alle sieben Hühnchen um, ohne jedoch auch nur eines
     zu fressen. Der Hund wurde bestraft – es genügte eine milde Strafe, man brauchte ihm ja bloß gewissermaßen zu
sagen,
was verboten sei   –, dann wurden neue Hühnchen angeschafft, an denen er sich nun nie mehr vergriff.
    Als ich einige Monate später Gold- und Silberfasane bekam und im Garten eingewöhnte, war ich klug geworden, rief meinen Hund,
     um vorzubeugen, an die Transportkisten, stieß ihn mit der Nase sanft auf die Fasane, versetzte ihm ein paar leichte Klapse
     und äußerte dazu drohende Worte. Diese vorbeugende Züchtigung erreichte ihren Zweck vollkommen, Wolf hat nie einen dieser
     Fasane angerührt.
    Dagegen geschah einmal etwas tierpsychologisch Hochinteressantes. Ich kam an einem schönen Frühlingsmorgen in den Garten und
     sah, erstaunt und empört, meinen prächtigen Wolf inmitten der Wiese stehen,
einen Fasan im Fang!
Der Hund hatte mich nicht bemerkt, so daß ich ihn ungestört beobachten konnte. Wolf schüttelte weder den Fasan, noch tat er
     sonst etwas, er stand nur still da, mit dem Vogel im Maul und merkwürdig ratlosem Gesicht. Als ich ihn anrief, zeigte er keine
     Spur schlechten Gewissens, sondern kam, die Rute erhoben und den Vogel immer noch im Maul tragend, auf mich zu. Da sah ich,
     daß er einen wilden Jagdfasan gefangen hatte, also nicht einen unserer freilaufenden Gold- oder Silberfasane. Offensichtlich
     hatte sich der hochintelligente Hund in einem schweren Gewissenszweifel befunden, ob dieser eine, in unseren Garten eingedrungene
     Jagdfasan zu den »geheiligten« Tieren zähle oder nicht. Er hatte ihn wahrscheinlich zuerst für rechtmäßiges Wild gehalten
     und gefangen, dann
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