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So kam der Mensch auf den Hund

Titel: So kam der Mensch auf den Hund
Autoren: Konrad Lorenz
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aber, vielleicht weil der Geruch an verbotene Hühnervögel erinnerte, ihn nicht getötet, wie er es sonst
     mit |138| jeder Jagdbeute getan hätte. Wolf war daher sogleich bereit, mir die Entscheidung zu überlassen, merkbar erleichtert, dies
     tun zu können. Der Jagdfasan, der völlig unverletzt war, hat jahrelang in einem unserer Flugkäfige gelebt und mit einer später
     aufgezogenen Henne viele Kinder gezeugt.
    Manche Altenberger Versuchstiere schätzten jedoch die Schonung, die ihnen von unseren großen, scharfen Hunden zuteil wurde,
     völlig falsch ein: Diese waren zwar zu belehren, daß Graugänse tabu seien, die Gänse legten es jedoch anders aus; sie »glaubten«
     nämlich, es sei nur ihrer Kampfeskraft zu verdanken, daß die Hunde, um Konflikte zu vermeiden, ihnen in weitem Bogen aus dem
     Wege gingen. So war denn die Furchtlosigkeit der Wildgänse erstaunlich. Da rannten beispielsweise an einem kalten Wintertage
     drei große Hunde an den Zaun hinunter, um einen Feind anzubellen, der die Dorfstraße entlangkam. Mitten auf ihrem angestammten
     »Bellwege« aber lag dichtgedrängt eine kleine Schar Wildgänse. Die Hunde sprangen, ununterbrochen laut bellend, in hohem Bogen
     über die Gänse hinweg, von denen keine auch nur Miene machte, aufzustehen, wohl aber fuhren zischend ein paar lange Hälse
     empor und drohten hinter den Hunden her. Rückkehrend, zogen es die Hunde vor, den ausgetretenen Pfad zu meiden und im tiefen
     Schnee das scheue Wild zu umgehen.
    Besonders ein alter Gänserich, der Despot der Kolonie, schien es sich zur Lebensaufgabe gemacht zu haben, die Hunde zu quälen.
     Seine Frau brütete in der Nähe einer kleinen Stiege, die vom Garten in den Hof und von dort zum Tor führt. Da es zu den selbstgewählten
     und unausweichlichen Pflichten der Hunde gehört, am Tor zu bellen, sooft es sich öffnet, mußten sie diese Stiege viele Male
     täglich passieren, lauter Gelegenheiten für den alten Wildgänserich, der auf der obersten Stufe postiert war, die Hunde in
     den Schwanz zu zwicken. Mußten die Hunde ihrer Pflicht zu bellen genügen, waren sie gezwungen, mit eingezogenen Schwänzen
     an dem zischenden Ganter vorbeizuhuschen, um an das Hoftor zu gelangen. Vor allem unser gutmütiger und |139| etwas wehleidiger Bubi, Wolfs I.   Großvater, wurde regelmäßig angegriffen. Der Hund pflegte schon im vorhinein das Jaulen des Schmerzes auszustoßen, sooft er
     sich anschickte, jene gefährliche Treppenstufe zu überschreiten.
    Dieser unhaltbare Zustand fand ein dramatisches und tragikomisches Ende. Eines Tages lag der böse alte Gänserich tot auf seinem
     Wachtposten. Die Leichenschau ergab eine minimale Impressionsfraktur am Hinterkopf, offensichtlich von einem leichten Druck
     eines Hundezahnes hervorgerufen. Bubi aber fehlte; nach langem Suchen fanden wir ihn völlig zusammengebrochen zwischen alten
     Kisten im finstersten Winkel des Waschküchenbodens, wohin noch nie einer unserer Hunde gekommen war. Der Hergang des Unglücks
     war mir so klar, als sei ich Zeuge gewesen. Der alte Gänserich hatte den vorbeihuschenden Hund so kräftig am Schwanz zu fassen
     bekommen und gezwickt, daß Bubi ein leichtes Schnappen der Abwehr nach der Stelle des Schmerzes hin nicht unterdrücken konnte.
     Dabei hatte er den Ganter so unglücklich erwischt, daß einer seiner Reißzähne das Schädeldach des alten Herrn eindrückte,
     wahrscheinlich nur deshalb, weil die Knochen des Greises, der nachweisbar in seinem fünfundzwanzigsten Lebensjahre stand,
     schon brüchig waren. Bubi wurde nicht bestraft, da das Gericht sinngemäß auf »besondere Körperbeschaffenheit des Opfers« erkannte.
     Es wurde feierlich für die Sonntagstafel des Hauses bestimmt und hat beigetragen, den weitverbreiteten Aberglauben zu zerstreuen,
     daß alte Wildgänse zähe seien. Der große fette Ganter schmeckte ausgezeichnet und war durchaus mürbe. Meine Frau meinte, vielleicht
     würden alte Gänse, etwa vom zwanzigsten Lebensjahre an,
wieder
weich.

|140| Die Treue und der Tod
    Als Gott die Welt erschuf, muß er wohl unerforschliche Gründe gehabt haben, dem Hunde eine etwa fünfmal kürzere Lebensdauer
     zuzumessen als seinem Herrn. Es gibt im menschlichen Leben genug des Leides, wenn wir von einem geliebten Menschen Abschied
     nehmen müssen und die Zeit dafür herankommen sehen, unabwendbar durch die Tatsache vorherbestimmt, daß jener ein paar Jahrzehnte
     früher geboren wurde als wir selbst. Da könnte man sich
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