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Snap - Im Haus des Bösen

Snap - Im Haus des Bösen

Titel: Snap - Im Haus des Bösen
Autoren: Douglas Preston , Lincoln Child
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aufhielt. Aber alles war grabesstill. Schließlich nahm ich meinen ganzen Mut zusammen, verließ mein Versteck und schlich zwischen den Palmettopalmen auf die Verandastufen zu. Das trockene Rascheln und dieser zunehmende Geruch nach Fäulnis und Verwesung sind mir noch gut in Erinnerung. Ich bin die Stufen förmlich hochgeglitten. Dort stand das hölzerne Gestell, früher reich verziert, jetzt aber furchtbar marode, die Farbe weitgehend verblasst, das Holz verwittert und gesplittert. Mit angehaltenem Atem steckte ich meine Hand in den Topf, tastete auf dem Boden nach dem Zahn, ergriff ihn und holte ihn heraus. Ich wunderte mich, dass nur dieser eine Zahn in dem Gefäß lag. Und während ich in dem trüben Licht auf den Zahn starrte – auf meiner Handfläche lag ein kleiner mittlerer Schneidezahn, weiß, mit einer karmesinroten Schliere an der Wurzel –, sah ich, dass es sich tatsächlich um den von Diogenes handelte. Ich erschrak bei dem Gedanken, dass sich Dufour womöglich wirklich seines ›Status‹ bewusst war und die hinterlegten Zähne regelmäßig eingesammelt hatte. Aber dann tat ich das als Hirngespinst ab. Offenbar hatte das Hausmädchen oder jemand anders im Haus den Topf vor kurzem gereinigt; das war die naheliegende Erklärung. Einen Moment lang blickte ich zu der alten Villa hoch. Alles war still. Bis auf den warmen Lichtschein in einem der oberen Fenster waren keine Anzeichen von Leben zu erkennen. Ich rannte den Gehweg hinunter auf die Montegut Street, blieb an der Ecke zur Burgundy stehen und dachte nach.«
    Pendergast zögerte, ein neuer Ausdruck – Entsetzen? Selbstvorwürfe? – huschte über sein Gesicht.
    »Wie gesagt, ich hatte die Absicht, Diogenes den Zahn unters Kopfkissen zu legen, während er schlief, und anschließend meinen Onkel zu bitten, ihn durch ein Geldstück zu ersetzen. Aber ich war immer noch wütend auf meinen Bruder. Und ich hatte Angst, Diogenes könnte aufwachen, wenn ich ihm den Zahn unters Kopfkissen schob, oder auf andere Weise von meinem Täuschungsmanöver erfahren. In dem Fall hätte er den Zahn vermutlich unter dem Kopfkissen hervorgeholt und zur Veranda des alten Dufour zurückgebracht, was meinen Plan, ihm eine Lektion zu erteilen, vereitelt hätte. Plötzlich wallte wieder ein Gefühl von Verärgerung in mir auf. Warum glaubte mein Bruder nur so einen Unsinn? Und wieso verschwendete ich meine Zeit damit und hockte stundenlang in der Dunkelheit? Ich würde ihm zeigen, wie töricht er gewesen war. Und so warf ich in einem kindlichen Anfall von Trotz den Zahn in einen Gully an der Ecke Montegut und Burgundy.
    Da bemerkte ich aus dem Augenwinkel in dem kaputten Erkerfenster oben in der Villa einen flackernden Lichtschein. Als hätte sich das Licht einer Sturmlampe kurz in der kaputten Fensterscheibe gebrochen. Außerdem sah ich – oder glaubte zu sehen – eine Bewegung, einen Schatten, der sich unvermittelt rührte und davonhuschte. Aber als ich genauer hinschaute, konnte ich nichts Weiteres erkennen. keinen Schatten, keine Bewegung, nur denselben trüben Lichtschein. Ich hatte mir alles nur eingebildet. Niemand hatte mich gesehen, weder, als ich den Zahn entwendet, noch als ich ihn weggeworfen hatte. Meine Phantasie war mit mir durchgegangen.
    Ich ging nach Hause, so schnell ich konnte. Als ich dort ankam, lag Diogenes wach und wartete auf mich. Er sah mich an, sein junges Gesicht wirkte faltig vor Skepsis und Misstrauen. Triumphierend erzählte ich ihm, was ich getan hatte und warum. Noch einmal schalt ich ihn wegen seines lächerlichen und kindischen Aberglaubens. Ich sagte ihm, ich hoffe, die Sache werde ihm eine Lehre sein.
    Ich habe mich ganz schrecklich benommen und schäme mich noch heute bei dem Gedanken daran. Die tragische Entwicklung, die Diogenes genommen hat, muss ich zum Teil auf meine Schultern nehmen.«
    Pendergast schwieg einen langen Augenblick, dann fuhr er fort: »Diogenes bekam einen Anfall, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. ›Der alte Dufour wird kommen!‹, rief er in panischer Angst, während ihm Tränen in die Augen schossen. ›Du hast seinen Zahn gestohlen, und jetzt wird er kommen –
um mich zu holen
!

    Zwar war ich bestürzt, hielt aber die Attitüde des überlegenen, älteren und klügeren Bruders aufrecht. Dufour werde ganz bestimmt nicht kommen, erwiderte ich. Er habe keine Ahnung, dass man ihn für die Zahnfee halte, und habe weder ihn noch mich gesehen. Außerdem sei er sich nicht mal bewusst, dass ihm jemand einen Zahn
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