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Snap - Im Haus des Bösen

Snap - Im Haus des Bösen

Titel: Snap - Im Haus des Bösen
Autoren: Douglas Preston , Lincoln Child
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alten Dufour für die Zahnfee gehalten. Und so hat sich das Ganze abgespielt: Hatte man einen Zahl verloren, musste man bis zum nächsten Vollmond warten. Dann, unmittelbar vor der Zubettgehzeit, schlich man hinüber zur Dufour-Villa und hinterlegte den Zahn an einem speziellen Ort auf der Vorderveranda.«
    »Was für ein Ort?«, fragte Constance.
    »Es handelte sich um einen hochgestellten Holzkasten oder eine Art Gestell, kunstvoll geschnitzt, mit einer Öffnung obendrin, wobei in dem Kasten ein kleines Kupfergefäß befestigt worden war. Ich würde meinen, dass er ursprünglich als eine Art großer Aschenbecher diente, vielleicht auch als Spucknapf oder Speischale. Er stand am Rand der Veranda, direkt neben den durchgesackten Vorderstufen. Man schlich ganz leise zur Veranda hinauf, ließ den Zahn da hineinfallen und lief dann so schnell wie möglich wieder weg.«
    »Und die Belohnung?«, fragte Constance. »Was hat man denn für den Zahn bekommen?«
    »Nichts. Keine Belohnung.«
    »Aber warum haben die Kinder das getan? Wäre es nicht besser gewesen, den Zahn unters Kopfkissen zu legen, um ein bisschen Geld dafür zu bekommen?«
    »O nein. Weißt du, man musste ihn dem alten Dufour geben. Denn«, und hier senkte Pendergast die Stimme ein wenig, »wenn du der Fee deinen Zahn nicht
geschenkt
hast, dann ist er mitten in der Nacht zu dir nach Hause gekommen und … hat ihn sich geholt.«
    »Was geholt?«
    »Seinen Anteil.«
    Constance lachte kurz auf. »Was für eine gruselige Geschichte! War sich Monsieur Dufour eigentlich bewusst, was da vor sich ging?«
    »Er war sich dessen
voll und ganz
bewusst. Wie du gleich hören wirst.«
    »Die Kinder haben also im Grunde den bösen Dufour abgewehrt, indem sie ihm ihre Zähne daließen?«
    »Genau. Zu wissen, dass einem die Zahnfee nicht mitten in der Nacht einen furchterregenden Besuch abstattet, übertraf bei weitem den Wert eines Zehn- oder Fünfundzwanzigcentstücks oder was immer sonst man vielleicht bekam, wenn man einen Zahn unter das Kopfkissen gelegt hatte.« Pendergast hielt erneut inne, erinnerte sich. »Zu jener Zeit, in der meine Geschichte spielt, war ich gerade neun geworden. Natürlich habe ich die Fabel von der Zahnfee – Dufour hin oder her – für blanken Unsinn gehalten. Diejenigen, die daran glaubten, betrachtete ich mit Geringschätzung, ja Verachtung. Es war Ende August, die letzten Tage eines langen, heißen Sommers. Meine Mutter war an Malaria erkrankt und lag im Krankenhaus; mein Vater war fort, geschäftlich unterwegs in Charleston. Ein entfernter Verwandter, ein Nachfahre von Erasmus Pendergast, hatte sich bei uns in der Dauphine Street einquartiert und kümmerte sich um uns. Sein Name war Everett Judgement Pendergast – Onkel Everett. Er war ein Brandy-und-Soda-Mann, der sich an seine Bücher hielt und uns weitgehend uns selbst überließ. Wie du dir vorstellen kannst, hat uns das sehr gefallen.«
    Pendergast veränderte seine Sitzhaltung und schlug die Beine übereinander. »Mein Bruder Diogenes war gerade sechs geworden. Das war, bevor verschiedene – wie soll ich sagen? – anomale Interessen von ihm Besitz ergriffen. Er war noch ein formbares Kind und, vielleicht zu seinem Unglück, extrem frühreif. Irgendwie hatte er den verschlossenen Bibliotheksschrank unseres Urgroßvaters aufbekommen und jede Menge alter Bücher gelesen, die er besser nicht gelesen hätte – Bände über Dämonologie, Hexenkunst, die Inquisition, abwegige Bräuche aller erdenklichen Art, Alchemie. Bücher, von denen ich glaube, dass sie sich später im Leben nachteilig auf ihn ausgewirkt haben. Auch hatte er die Gewohnheit, die Gespräche zwischen den Hausbediensteten zu belauschen. Schon mit sechs Jahren war er ein verschlossener, durchtriebener kleiner Junge.
    In der fraglichen Nacht – es war der fünfundzwanzigste August – habe ich gesehen, wie Diogenes auf verdächtige Weise am Hinterausgang herumschlich und dabei etwas in der Hand hielt. Ich fragte ihn, was er da tue. Da er sich weigerte, es mir zu verraten, habe ich seine Hand ergriffen und versucht, seine Faust zu öffnen. Wir rauften. Er war erst sechs und unterlag. In seiner Hand lag ein schmuddeliger Milchzahn, mit getrocknetem Blut daran, offenbar erst vor kurzem abgestoßen. Ich habe die Geschichte aus Diogenes herausgepresst. Der Zahn war ihm zwei Tage zuvor ausgefallen, und er hatte bis zum Vollmond gewartet. In dieser Nacht wollte er mit dem Zahn zur Montegut Street schleichen und ihn in den
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