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Snap - Im Haus des Bösen

Snap - Im Haus des Bösen

Titel: Snap - Im Haus des Bösen
Autoren: Douglas Preston , Lincoln Child
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gegangen war, schaute ich vom Fenster des vorderen Salons zu, wie er die Straße hinunterging, in Richtung Montegut Street. Ich rechnete damit, dass er nach einer Stunde wieder zurück sein würde. Stattdessen blieb er fast vier Stunden fort. Aber dann endlich – es war fast Mitternacht, und ich saß auf der großen Treppe, weil ich nicht einschlafen konnte – hörte ich, wie sich im Schloss der Haustür ein Schlüssel drehte. Und da stand Onkel Everett mit Diogenes an seiner Seite. Mein Bruder war aschfahl, sein Gesicht wie versteinert. Sofort und ohne ein Wort zu sagen ist er auf sein Zimmer gegangen, hat die Tür abgesperrt und ist erst mehrere Tage später wieder herausgekommen.«
    Pendergast hielt inne. In der Villa am Riverside Drive war es ganz still geworden. Das Kaminfeuer war heruntergebrannt, leise knisterten die Kohlen auf dem Rost. Die Fenster waren fest verschlossen, die dicken Vorhänge zugezogen, kein Verkehrsgeräusch drang in die Stille der Bibliothek. Nach einer Weile fuhr Pendergast fort.
    »Aber mein Onkel sah schrecklich aus, ja abscheulich. Er war – ganz untypisch für ihn – auf seltsame Weise zerzaust, die Augen waren stark blutunterlaufen. Sein Gesicht wirkte völlig derangiert: Der Kiefer war heruntergeklappt, die Wangen waren hohl, die Lippen zitterten wie bei einer Lähmung, und die untere Gesichtshälfte war dick geschwollen, als hätte er Wasser im Mund. Und seine Gesichtshaut war karmesinrot, fast violett, und er hatte eine Platzwunde auf der Wange. Er starrte mich mit furchterregender Miene an – der Mund zusammengepresst, ein hartes Glitzern in den Augen –, wie ich sie bei ihm noch nie gesehen hatte. Ich meinte, Blutflecken auf seinem Hemdkragen zu erkennen.
    Er ging in den rückwärtigen Teil des Hauses und rief nach der Haushälterin. Seine Stimme schockierte mich. Sie war völlig verändert – verwaschen und belegt, als wäre er betrunken. Ich konnte das Gespräch zwar nur undeutlich verstehen, aber offenbar fragte mein Onkel nach, ob mein Vater am morgigen Tag zurückkehren werde. Er müsse gleich noch einmal aus dem Haus gehen, fuhr er fort, und vertraue mich und Diogenes ihrer Obhut an.
    Nachdem er die erwünschte Bestätigung bekommen hatte, ging er ins Arbeitszimmer. Noch immer saß ich vollkommen verängstigt auf der Treppe und belauschte alles. Da hörte ich das Kratzen eines Füllfederhalters. Und dann kam Onkel Everett wieder aus dem Zimmer. Obwohl es eine schwüle Nacht war, hatte er ein weißes Leinensakko angezogen. Die eine Hand steckte tief in einer der Jacketttaschen; ich konnte die weißen Knöchel der Hand sehen, die einen Pistolengriff umfasst hielten. Er schien mich nicht zu bemerken, als er die Haustür öffnete und in der Dunkelheit verschwand.
    Ich wartete auf seine Rückkehr, aber er kam nicht wieder. Diogenes verbarrikadierte sich nach wie vor hinter seiner verschlossenen Tür und weigerte sich, auf mein Klopfen und meine Bitten zu antworten. Die Nacht verging, ohne dass Onkel Everett zurückkehrte. Der nächste Tag kam, und ich wartete immer noch. Der Morgen wich dem Mittag und dann dem Nachmittag. Und noch immer versteckte sich Diogenes in seinem Zimmer, und noch immer war Onkel Everett nicht zurückgekehrt. Ich fühlte mich ganz krank vor Angst.
    Am Abend kam mein Vater dann zurück, mit grimmiger Miene. Von meinem Zimmer aus hörte ich im Erdgeschoss gemurmelte Gespräche. Schließlich, so gegen neun Uhr, rief er mich in sein Arbeitszimmer. Wortlos reichte er mir einen hastig geschriebenen Brief. Noch heute erinnere ich mich an den Inhalt, Wort für Wort.

    Lieber Linnaeus,
    heute Abend habe ich M. Dufour in der Montegut Street aufgesucht. Ich bin ahnungslos und törichterweise ohne Vorkehrungen dorthin gegangen. Doch meinen zweiten Besuch werde ich ihm in anderer Manier abstatten. Zwar könnte ich mich mit der Angelegenheit an die Polizei wenden, aber – aus Gründen, die vielleicht irgendwann deutlich werden oder auch nicht – handelt es sich hier um etwas, das ich persönlich erledigen möchte. Wärest Du
in
jenem Haus gewesen, Linnaeus, so würdest Du mich verstehen. Dieser abscheuliche Mensch, der sich Maurus Dufour nennt, hat sein Recht auf Leben verwirkt.
    Weißt Du, Linnaeus, mir blieb keine andere Wahl. Dufour glaubte, dass man ihn beraubt habe. Und so habe ich ihn
beschwichtigt
. Anderenfalls hätte er den Jungen nicht freigelassen. Schreckliche Riten wurden durchgeführt. Ihr Mal wird mir für den Rest meines Lebens eingeprägt
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