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Sklaven der Begierde

Sklaven der Begierde

Titel: Sklaven der Begierde
Autoren: Tiffany Reisz
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als hätte er nur darauf gewartet, dass ich ihm meine Liebe gestehe, um mich zu fragen, ob ich seine Frau werden will.“
    „Was meinst du mit …“
    „Pssst.“ Marie-Laure legte einen Finger an ihre Lippen. Vor dem Altar erschien ein Licht, eine einzelne Kerze war entzündet worden. „Es ist so weit.“
    Sie hielt ihm ihren Arm hin, und Kingsley nahm ihn. Außer ihren schnellen flachen Atemzügen war kein Ton zu hören, als er seine Schwester zum Altar führte, wo Søren neben Father Henry stand und auf seine Braut wartete. Father Henry hatte sein übliches Lächeln im Gesicht. Auch Marie-Laure lächelte. Aber Søren und Kingsley verzogen keine Miene. Sie sahen sich schweigend an. Kingsley suchte nach etwas in Sørens Augen, irgendetwas. Einen Hinweis, eine Absicht, einen Plan – irgendetwas, das diesen Wahnsinn hier erklären würde. Aber Sørens Blick war undurchdringlich. Er konnte nichts darin erkennen.
    Father Henry begann zu sprechen, und Marie-Laures Lächeln wurde immer strahlender. Kingsley hörte zwar die Stimme des Priesters, doch sie ergaben keinen Sinn für ihn. Dann wurde es wieder still, und er begriff, dass man ihn gerade etwas gefragt hatte.
    „Ich“, antwortete er. Das war, wie ihm jetzt wieder einfiel, das einzige Wort, das er in dieser Farce zu sagen hatte. Father Henry hatte ihn gefragt, wer diese Frau ihrem künftigen Ehemann zuführte. Und er sagte: „Ich.“ Nur ein kleines, winziges Wort, aber es auszusprechen schmerzte ihn mehr, als ihn geschmerzt hatte, dabei zuzusehen, wie die Leichen seiner Eltern zu Asche verbrannten und dann in silbernen Urnen verstaut wurden. Er wusste, dass er sich nun neben seine Schwester stellen müsste – in Paris hätte das wohl eine Freundin erledigt, aber als einzige Frau in St. Ignatius hatte Marie-Laure niemanden, den sie bitten konnte, ihr zur Seite zu stehen. Also blieb nur ihr Bruder. Aber Kingsley brachte es nicht fertig, er konnte dies hier nicht für seine eigene Schwester tun. Er ging stattdessen zu Søren. Marie-Laure bemerkte seinen Verrat nicht einmal.
    Der Traugottesdienst ging weiter. Es würde kein Abendmahl geben. Marie-Laure war erst gestern Abend getauft worden. Für Søren war sie zum katholischen Glauben konvertiert – damit ihre Vereinigung den Segen der Kirche bekommen konnte.
    Was hätte ihr Vater wohl dazu gesagt! Vermutlich wäre Monsieur Auguste Boissonneault, stolzer Nachfahre der Hugenotten, auf der Stelle tot umgefallen, wenn er hätte miterleben müssen, dass seine Tochter katholisch wurde, um einen Katholiken zu heiraten. Kingsley war zum ersten Mal froh darüber, dass sein Vater tot war. Tot zu sein war auf jeden Fall besser, als sich dieses Affentheater anzuschauen. Er wäre am liebsten auch tot. Wenn er und Søren wenigstens eine letzte Nacht miteinander gehabt hätten … dann hätte er Søren angefleht, ihn umzubringen. Und Søren, mit seiner Liebe und seiner Macht und seiner Gnade, hätte ihm diese Bitte gewährt, da war er ganz sicher.
    Als Father Henry sein Lächeln direkt auf Søren und Marie-Laure richtete, wurde Kingsley sich wieder seiner Umgebung bewusst.
    „Vater im Himmel, erhöre du ihr Ja. Wie du diese Eheleute zusammengeführt hast, bitten wir dich um deinen Segen für ihre Ehe. Bleibe du bei ihnen, beleuchte du mit deinem Licht ihren Weg in allen schweren und freudigen Zeiten. Amen.“
    Die versammelten Schüler und Priester, einzige Gäste der Zeremonie, antworteten gemeinsam mit einem ersten „Amen“.
    Amen – so sei es.
    Nur Kingsley und Søren sprachen das Amen nicht aus.
    Father Henry nickte Søren zu, und dieser nahm Marie-Laures Arm. Gemeinsam schritten die Jungvermählten aus der Kapelle. Und zum ersten Mal an diesem höllischen Tag spürte Kingsley Gottes Barmherzigkeit. Es hatte, aus welchem Grund auch immer – vielleicht auf Wunsch des Bräutigams oder aus Schicklichkeit –, keinen Kuss gegeben.
    Mit bleischweren Füßen schleppte Kingsley sich hinter Father Henry den Mittelgang hinunter und in den Vorraum. Søren und Marie-Laure warteten im tiefen Schatten bei der Tür. Søren hatte sein Jackett ausgezogen und es seiner Frau gegeben. Die lächelte so glücklich und dankbar, als hätte er ihr die Schlüssel zu einem Königreich überreicht. Kingsley wurde ganz schlecht bei dem Anblick.
    „Father Henry, würden Sie sie zu ihrem Zimmer begleiten?“, bat Søren.
    Kingsley wartete neben dem Schrein der Jungfrau Maria.
    Marie-Laures bernsteinfarbene Augen weiteten sich
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