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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)
Autoren: Alexandra Tobor
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los! Trink schon!«, feuerte sie mich an. Voller Misstrauen beschnupperte ich erst den Becher.
    »Płyn Lugola? Trink es, Ola. Schmeckt so gut wie Coca-Cola«, reimte Oma trällernd. Als ich kleiner war, dachte sie sich ständig solche Lieder für mich aus, während sie mir Löffel voll widerlicher Pampe an den Mund führte. Ich überlegte, ob ich vorsorglich das Zeitliche segnen sollte. Nein. Erst würde ich überprüfen, ob an Omas Reim nicht doch etwas dran war. Ich nahm einen kleinen scheuen Schluck aus dem Becher, doch dieser Tropfen genügte, um in meinem Mund die Hölle zum Einsturz zu bringen. Eine widerliche, brennende Bitterkeit zersägte mir die Zunge.
    »Ich trinke das nicht!«, schrie ich und blickte hilfesuchend zu Oma. Aber sie war nicht mehr da. Die Schwester ließ ihr hässliches Lachen scheppern.
    »Kinder und Fische haben keine Stimme. Hat man dir das nicht beigebracht? Und jetzt runter damit!«
    »Niemals!«, brüllte ich und warf den Becher verzweifelt gegen die Schwester, die im letzten Moment ausweichen konnte. Das rotbraune Rinnsal schlängelte sich zäh am Boden entlang.
    »Na warte, du kleiner Teufel!«, röchelte sie und spreizte ihre buschigen Brauen, als Omas Kopf im Türspalt erschien.
    »Was ist hier los?«, fragte Oma. »Kann man sich nicht mal kurz die Beine vertreten?«
    »Was hier los ist?«, empörte sich die Schwester. »Hab ich Ihnen nicht gesagt, Sie sollen dafür sorgen, dass sie es schluckt!?«
    »Sie will es nicht trinken?«, fragte Oma und zuckte dann mit den Schultern. »Da kann man wohl nichts machen. Es kann sie ja keiner zwingen.«
    »Ach nein?«, keifte die Schwester, während sie mit einem frisch gefüllten Becher auf mich zustampfte. »Ich kann’s!«
    Mit spitzen Hexenfingern packte sie mein Kinn, riss es nach oben, drückte meinen Mund zu einem Schnäbelchen auf und goss mir die ätzende Flüssigkeit in den Rachen.
    »Biiiiittescheeen«, schnalzte sie triumphierend, und ihre Mundwinkel zogen sich zäh auseinander, bis in ihrem Gesicht eine Art Lächeln mit grob gesäten Zähnen erschien.
    Ich taumelte, verlor kurz das Gleichgewicht und spie den scheußlichen Saft prustend aus. Oma erstarrte im Türrahmen, als sie sah, wie die Flüssigkeit sich in den weißen Stoff meines sommerlichen Kleidchens fraß.
    »Was haben Sie angerichtet!?«, brüllte sie los. »Das schöne Kleid! Das schöne, gute Kleid! Das hab ich ihr aus der DDR mitgebracht. Aus der D-D-R !«
    »Na und?«, sagte die Schwester unbeeindruckt. »Und wenn’s von den Inseln Hulla-Gulla wäre!«
    Omas Gesicht verfinsterte sich. Sie stemmte die Hände in die Hüften und schnaubte wie ein Stier. Der Leopardenrock spannte zwischen ihren spitzen Knien. Oma stand im Türrahmen wie ein großes verziertes A am Anfang einer finsteren Geschichte. Die Uhr tickte. Ich zählte jede Sekunde mit. Jeden … dwa … trzy … Oma schritt im Takt voran. Unter ihren klackenden Absätzen verstummten sogar Silberfische und Milben. Die Zeiger der Wanduhr standen auf halb 1, als die Krankenschwester in den Schatten der Turmfrisur geriet. Ihr rotes Gesicht schrumpfte darin wie ein Ballon, aus dem ganz langsam die Luft weicht.
    »Sind Sie je den weiten Weg in die DDR gefahren, um einem Mädchen ein schönes Kleid kaufen zu können? Haben Sie jemals etwas von dieser Qualität gesehen?«
    Oma zog mich am Ärmel heran und befahl der Schwester, den Stoff zwischen Daumen und Zeigefinger zu reiben.
    »Haben Sie?«
    Die Schwester schüttelte den Kopf.
    »Aber verstehen Sie denn nicht!?«, stammelte sie mit den Resten ihrer Stimme. »Wenn die Kleine das Jod nicht trinkt, stirbt sie!«
    »Eher welken mir die Ohren ab von Ihrem Blödsinn«, warf Oma zurück. »Oberschlesien ist die verseuchteste Gegend Polens. Zeigen Sie mir ein Kind von hier, das nicht krank oder zurückgeblieben ist.«
    Die Schwester zitterte mit der Unterlippe, während Oma munter fortfuhr: »Ruß und Chemie. Dreck und Gestank. Blei im Wasser. Verseuchtes Gemüse. Die Kinder sind zum Verblöden verdammt. Was soll uns das bisschen Radioaktivität von den Russen denn da noch anhaben können?«
    »Aber … aber ich habe die Anweisung vom Herrn Doktor …«
    »Unsinn! Machen Sie dem Kind lieber eine Freude. Von einem Schwesternhäubchen träumt meine Ola schon lange.«
    »Natürlich«, stammelte die Schwester. Sie fummelte das Plastikhäubchen aus ihrem Haar und setzte es mir mit einem angedeuteten Knicks auf den Kopf.
    »Und noch eine Handvoll Plastikspritzen zum
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