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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)
Autoren: Alexandra Tobor
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grauer Kasten. Oma hatte ihn mit eigenen Händen gebaut. Direkt neben uns wohnte Tante Selma mit ihrem Kater Leon, der nach dem Tod ihres Mannes Onkel Leon genannt wurde. Dieses Haus war nicht so viereckig und grauverputzt wie unseres, sondern aus roten Ziegeln gebaut, deren ursprüngliche Farbe man unter der schwarzen Kruste aus Ruß noch erahnen konnte. Zwischen Tenne und Taubenschlag schmiegte sich ein urzeitliches Plumpsklo. Selma hatte als Einzige im Dorf noch kein Wasserklosett, weil alles, was rauschte und brauste, ihre Nerven schnell strapazierte. Sie war zehn Jahre älter als Oma Greta und eine sehr schreckhafte und gottesfürchtige Frau. Oma pflegte zu sagen, ihre Schwägerin habe mehr Angst vor Gott als vor dem Teufel. Ich aber wusste, dass Selma vor niemandem so viel Angst hatte wie vor Oma Greta. Seit Kater Leon nach einem Sturz vom Baum alle Zähne ausgefallen waren, ärgerte Oma sich über seine völlige Nutzlosigkeit. Als sie ihn kürzlich in ihrem Osterglockenbeet fand, hatte sie ihn am Schwanz herausgezogen und in hohem Bogen über den Zaun geworfen, zurück auf Selmas Hof. »Hätt ich dich damals nur in der Regentonne ertränkt!«, rief sie ihm hinterher. »Wenn ich dich noch einmal in meinem Garten erwische, mach ich Kotelett aus dir!« Weder Selma noch ich zweifelten daran, dass Oma ihre Drohung eines Tages wahrmachen könnte.
    Ich lehnte mich über die Betonbrüstung des Balkons. Unten, im Labyrinth aus Blumen- und Gemüsebeeten, sah ich Omas Haarpuschel rotieren. Allerlei Gerätschaften lagen für die Gartenarbeit bereit; eine Schaufel, ein Rechen, eine Forke. Mein Blick wanderte hinüber zu Selmas Hof, und ich erschrak fürchterlich. Die Zacken der Forke zeigten geradewegs auf Leon, der im Begriff war, das verbotene Gebiet zu betreten! Er steuerte genau auf das Osterglockenbeet zu, das ihm erst neulich zum Verhängnis geworden war. O Leon! Hatte Oma dich nicht deutlich genug gewarnt? Ich atmete auf, als der Haarpuschel wie durch ein Wunder um die gegenüberliegende Hausecke bog. Oma peilte den Geräteschuppen an, offenbar hatte sie etwas vergessen. Wenn ich mich beeilen würde, bliebe Onkel Leon verschont, von der Riesengabel aufgespießt und zu Kotelett verarbeitet zu werden! Ich sauste die Treppe hinunter und nahm den Hinterausgang in den Garten. Leon saß bereits in den Osterglocken. Nur sein Schwanz schaute heraus. Ich atmete auf. Doch kaum hatte ich ihn mit beiden Händen aus dem Beet gehoben, hörte ich erst, wie die Tür zuschlug, die ich offen gelassen hatte, und dann das nahende Klacken von Omas Pantoletten. Ich drückte Leon fest an mich und rannte so schnell ich konnte ums Haus. Da! Ein offenes Kellerfenster! Ohne lange zu überlegen warf ich Leon hinein. Als ich ihn geräuschlos landen hörte, wischte ich mir den Schweiß von der Stirn. Leon war gerettet. Aber was würde aus mir?
    Den Keller alleine zu betreten, war mir strengstens untersagt. Mama fürchtete, ich könnte von einer Kartoffel-Lawine überrollt werden, Oma hatte Angst, dass ich ihre Waschmittelreserven aufesse, und Tante Selma warnte vor dem Heizkeller; die Ofenklappe sei der Eingang zur Hölle, und jeden, der allzu neugierig in die Flammen glotzte, zögen die Teufel hinein. Ich war noch nie ganz allein im Keller gewesen. Die Stufen, die hinabführten, waren hoch und schief. Es gab so viele Kammern, dass man das Gefühl hatte, durch ein unterirdisches Labyrinth zu irren. Manche Kammern hatten schwere Türen mit Schlössern dran, andere nur wallende Vorhänge. Über den Betonboden krochen milchig-grüne Schwaden, und auf rostzerfressenen Regalen standen allerlei Gläser und Behältnisse, in denen tote Birnen, Pflaumen und Gürkchen dümpelten. Mir bleib keine Zeit, darüber nachzudenken, ob ich wohl den Mut hatte, hinabzusteigen. Entweder ich schlüpfte selbst durch das Kellerfenster, oder Oma würde mich zur Strafe mit Schmalzbroten und Knoblauchsuppe malträtieren. Ich beugte mich zum Fenster hinunter, steckte erst die Beine, dann die Arme hindurch und drückte mich hinein.
    Ziellos kroch ich durchs Halbdunkel. »Leon?«, flüsterte ich. Leon antwortete nicht. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und tastete die kalte Wand nach einem Lichtschalter ab, bis eine Glühbirne im Staubpelz mit dumpfem Knistern aus ihrem Schlummer erwachte. Leon saß auf einem Bücherstapel und kehrte mir den Rücken zu. Sein Schwanz formte ein Fragezeichen. »Leon?«, wiederholte ich. Endlich drehte der Kater mir den Kopf zu und
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