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Sirenenfluch

Sirenenfluch

Titel: Sirenenfluch
Autoren: Lisa Papademetriou
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erweckten in ihm eine Urangst. Sie lähmte ihn, während die flüsternden Stimmen Zoe tiefer in die Bucht lockten.
    Klänge erfüllten die Luft und schlangen sich wie Lianen um Wills Knöchel und Zoes Verstand. Die Gesichter wippten leicht im Wasser auf und ab und beobachteten Zoe, die langsam weiter vorwärtsging. Eins nach dem anderen verschwand unter der Wasseroberfläche, um gleich wieder aufzutauchen. Und plötzlich war Zoe im Wasser verschwunden. Es war alles ganz schnell gegangen, so als sei sie in ein tiefes Loch gefallen – im einen Moment war sie noch da, eine Gestalt so fahl wie der Mond, und schon im nächsten Augenblick war sie nicht mehr zu sehen.
    Will, noch immer bewegungsunfähig in den Fängen der Musik, blieb nichts anderes übrig als hilflos zuzusehen. Er wollte schreien, doch er brachte keinen Laut heraus. Auch Guernsey war ganz still geworden. Sie kauerte winselnd am Boden.
    Will war sich nicht sicher, ob das Lied, das die Wesen sangen, einen Text hatte. Wenn ja, so konnte er ihn jedenfalls nicht verstehen. Allerdings blitzten in seinem Kopf Bilder auf – ganz klar und deutlich. Plötzlich sah er Tims Gesicht vor sich. Angst, ein merkwürdiger Schrei unter Wasser. Sie waren beide dort. Eine Frau, deren Haar hell wie die Sterne leuchtete, sah Will an. Sie lächelte und entblößte kleine, spitze Zähne. Diese schlug sie in Tims Nacken …
    Wie Rauchschwaden kringelte sich das Blut auf der Wasseroberfläche.
    Will holte weit aus, da fuhr ihm ein rasender Schmerz quer über das Gesicht. Seine Wange fühlte sich an wie aufgeschlitzt. Schon erwartete er, dass die Zähne sich auch in sein Fleisch graben und ihn in Stücke reißen würden, doch stattdessen wurde er plötzlich von jemandem am Arm gepackt, zurück zum Boot gezerrt und – derjenige musste eine Mordskraft besitzen – hineingehievt.
    Mit verschwommenem Blick sah Will ein über sich gebeugtes Gesicht. Blaue Augen und langes, helles Haar, das in triefenden Flechten auf ihn herabhing. Am Ufer hinter ihm hatte das Segel auf Tims Boot Feuer gefangen und die Flammen loderten zum Himmel wie eine Manifestation Gottes. Hier verblasste das Bild und entzog sich Will mehr und mehr …
    Da tauchten die Gesichter unter und urplötzlich verstummte auch die Musik, die ihn in ihrem Bann gehalten hatte. Ganz allmählich erwachte Will aus seinem tranceähnlichen Zustand und ihm fiel wieder ein, wo er sich befand. Am Rande der Bucht … am Rande der Bucht, zu der er Zoe gefolgt war …
    »Zoe!«, schrie Will und stürzte sich Hals über Kopf ins Wasser. Seine schweren Motorradstiefel schlugen auf der Wasseroberfläche auf wie Axthiebe.
    Plötzlich spritzte es auf und Zoes Kopf wurde sichtbar. Sie versuchte verzweifelt, sich über Wasser zu halten, doch plötzlich wurde sie von einer Hand gepackt und erneut in die Tiefe gezogen. Ein einzelner erstickter Schrei entfuhr ihrem Mund, bevor sie wieder verschwand.
    Er lief fünf Schritte weiter und blieb dann ratlos stehen. Er hatte keine Ahnung, wohin er gehen sollte. Das Wasser kräuselte sich und zog weite Kreise, die kurz darauf mit der Wasseroberfläche verschmolzen, als wären sie nie da gewesen. Die Bucht war wieder spiegelglatt.
    »Zoe!«, schrie Will und versuchte, irgendein Lebenszeichen im Wasser zu erspähen. Irgendeines.
    Doch nichts geschah.
    Trotzdem blieb er stehen, wo er war, und alle Muskeln in seinem Körper waren aufs Äußerste angespannt, bereit zum Kampf, bereit, ihr nachzuspringen.
    Stille.
    Da erscholl ein gellender Schrei und so unvermutet wie ein Blitz brach ein blutüberströmtes Gesicht durch die Wasseroberfläche. Es dauerte einen kurzen Moment, ehe Will begriff, dass es nicht Zoe war – sondern eine der Seekriegerinnen. Sie hatte eine tiefe Schnittwunde am Kopf, aus der ihr das Blut in die Augen rann, sodass sie nichts mehr sehen konnte.
    Es gurgelte und spuckte im Wasser, als eine weitere Seekriegerin explosionsartig emporgeschossen kam. Eine Hand griff nach ihr und packte sie und im nächsten Moment tauchte Asia auf.
    »Oh Gott«, wisperte Will, als er sah, wie Asia die Seekriegerin am Haarschopf packte, ihr ruckartig den Kopf in den Nacken riss und sie vor Schmerzen schreiend zurück unter die Wasseroberfläche drückte. Eine andere Seekriegerin näherte sich Asia von hinten, doch diese rammte der Meerjungfrau ihren Ellbogen ins Gesicht und schleuderte sie hintenüber.
    Dann tauchte sie unter.
    Will hielt gespannt den Atem an.
    Fast war die Wasseroberfläche schon wieder ruhig,
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