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Sirenenfluch

Sirenenfluch

Titel: Sirenenfluch
Autoren: Lisa Papademetriou
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gerade taumelnd vor ihm auf die Straße gelaufen war.
    Es riss einen Arm hoch und machte vor Schreck einen Satz rückwärts. Will machte eine Vollbremsung – doch es war zu spät. Das Motorrad schlingerte und kam schließlich zum Stehen. Will ließ es hinter sich auf die Seite kippen und rannte zu der Gestalt auf der Straße. Er zerrte sich den Helm vom Kopf und fiel neben der leblosen Person, die mit dem Gesicht zum Boden lag und sich nicht rührte, auf die Knie.
    Ganz vorsichtig drehte Will sie um.
    »Oh Gott!« Die Worte kamen als ersticktes Murmeln aus seinem Mund, als er das Gesicht sah. Es sah sehr jung aus – wie das eines Teenagers – und war aschfahl. Die Augen waren weit aufgerissen und die Pupillen hatten die Größe seiner Iris. Das Weiße in seinen Augen stach in der Dunkelheit der Nacht hervor.
    Er starrte Will an und in seinem irren Blick flackerte etwas auf. Seine aufgesprungenen Lippen bewegten sich kaum, als der Junge mit erstickter Stimme flüsterte: »Ich kenne dich.«
    »Das gibt’s doch nicht!« Will bettete den Kopf des Jungen in seiner Armbeuge. »Kirk?«
    Da lachte Kirk auf, doch es lag nicht die geringste Spur von Humor darin. »Sie sind gekommen, um sie zu holen.« Er packte Will am Kragen und besudelte dabei das blaurot karierte Hemd mit Blut. »Die Bucht hält niemandes Furcht zurück. Die Rachegöttin muss erwachen! Die Zeit ist gekommen – sie warten!«
    Will wollte sich aus dem Griff des Jungen befreien, doch dieser ließ nicht locker. Weshalb treibt er sich überhaupt hier herum?, überlegte Will. Müsste er nicht eigentlich in Hampton Bays sein?
    Wills Blick fiel auf Kirks Füße. Er war barfuß und seine Füße waren blutig geschürft.
    Mit zusammengepressten Zähnen sagte Kirk: »Ich habe sie herbeigerufen.« Die Worte kamen geradezu aus seinem Mund geschossen. »Sie warten! Ich kann sie hören!«
    »Was?«
    Da fing er an zu würgen. Er hustete heftig, spuckte dabei Blut und lockerte den eisernen Griff, mit dem er Will festhielt. Dann fiel er hintenüber und schlug heftig mit dem Hinterkopf auf dem Pflaster auf.
    »Kirk?« Will hob seinen Kopf wieder in seinen Schoß. »Kirk, hörst du mich?«
    Doch Kirk hatte das Bewusstsein verloren.
    Will blickte zu seinem Motorrad hinüber. Es war vielleicht keine so gute Idee, Kirk darauf zum Krankenhaus zu transportieren. Also zog er sein Handy aus der Tasche.
    Was hat es nur mit diesem Kirk Worstler auf sich?, fragte sich Will, als er die Notrufnummer wählte. »Wie kommt es, dass ich ihm ständig das Leben retten muss?«
     
    »Ist er bei Bewusstsein? Kann ich mit ihm reden?« Angus glitt neben Will auf den Plastiksessel im Warteraum des Krankenhauses und redete ohne Punkt und Komma. »Komm schon, Kumpel, was hat er denn gesagt? Diese Sache ist doch total abgefahren!«
    Will massierte sich genervt die Schläfen. »Was zum Henker willst du denn hier?«
    »Na, mir die Exklusivrechte an der Story sichern, Mann, was denn sonst?«
    »Und woher wusstest du …?«
    »Onkel Barry hat mir eines der Polizeifunkgeräte ausgeliehen.« Angus stand auf und machte ein paar Schritte in Richtung des Notaufnahmeraums. »Ist er –« Doch da erspähte er plötzlich eine Bewegung hinter dem Vorhang und ging wieder zurück.
    Will erhob sich widerstrebend aus seinem bequemen Sessel. Es war ein schönes Krankenhaus, exklusiv für die reichen Sommergäste gedacht, die sich versehentlich beim Angeln oder Bagel-Aufschneiden verletzt hatten. Einfach alles in diesem Krankenhaus war ein wenig netter gestaltet, als es der Funktion halber nötig gewesen wäre.
    Will lief den Flur entlang und bewunderte die sauberen, weiß gestrichenen Wände, an denen geschmackvolle Naturaufnahmen in Schwarz-Weiß hingen.
    Lediglich die piependen Apparaturen und sonstigen medizinischen Geräte ließen sich nicht beschönigen.
    Genauso deplatziert wirkten auch die Ärzte und Krankenschwestern in ihren unansehnlichen blauen Kitteln inmitten des tadellosen Baukonzepts.
    Kirk lag auf einem weißen Bett, halb verdeckt durch einen grauen Vorhang, und Angus stand über ihn gebeugt daneben.
    »Wie viele waren es?«, fragte Angus. »Nur einer? Oder eine ganze Handvoll?«
    Kirk starrte ausdruckslos geradeaus. »Ich kann mich an nichts erinnern.« Seine Stimme klang heiser, so als sei er tagelang in der Wüste umhergeirrt und seine Kehle ganz ausgedörrt. Neben seinem Bett standen eine mauvefarbene Plastikkaraffe und ein Stapel Plastikbecher.
    »Hör zu, versuch doch bitte, dich zu erinnern.
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