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Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe

Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe

Titel: Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe
Autoren: Martin Clauß
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er besser als jeder andere. Am wohlsten fühlte er sich in Kaminzimmern mit gut gefüllten Bücherregalen. Das Leben der Goldgräber dagegen war mehr als nur rau, es war entbehrungsreich, gefährlich und mitunter schlicht mörderisch. Die harte Natur, Krankheiten, Hunger, Indianerüberfälle – Risiken gab es zuhauf. Dazu kamen die Reibereien, die in einer Gesellschaft von Desperados dazugehörten. Konflikte waren an der Tagesordnung, und von einer echten oder falschen Anschuldigung bis zum Aufknüpfen an einem Baum vergingen oft nur Stunden. Wie sollte das jemand überstehen, dem schon vor der ungeschliffenen, schmutzigen Sprache der Digger graute? Eigentlich hätte die Westküste für ihn keine Option darstellen dürfen.
    Aber er hatte einen Trumpf im Ärmel: seinen zeitlichen Vorsprung. Wenn er als einer der ersten Goldsucher in Kalifornien eintraf, hatte er ausgezeichnete Chancen, einen ordentlichen Fund zu machen und sich damit in einem der kleinen Städtchen für einige Zeit zur Ruhe zu setzen. Vielleicht sogar in San Francisco, das erst im Verlauf des Goldrauschs zu einer Großstadt werden würde.
    Für die lange und beschwerliche Reise in den Westen hatte er sich einem Eigenbrötler namens Prescott angeschlossen. Prescott hatte eine gescheiterte Ehe hinter sich und wollte möglichst weit weg von allem, vielleicht auf der anderen Seite der Neuen Welt in einer Sägemühle arbeiten. Viel mehr als das erzählte er Darren nicht. Wenn er überhaupt etwas sagte, dann redete er über die Überfahrt von England in seiner Kindheit, auf der sein Schiff dreimal beinahe abgesoffen war. Er schien zu glauben, dass einem Mann, der dreimal dem Tod auf See entgangen war, im Leben nichts Schlimmes mehr zustoßen konnte.
    Sie reisten in einem dieser Planwagen, eine Art Vorhut des langen Trecks von kurzentschlossenen Goldsuchern, der sich ein halbes Jahr später formen würde. Sie lernten gemeinsam, mit der Natur und der Einsamkeit fertigzuwerden, doch näher kamen sie sich dabei nicht. Darren gab an, zu einem Bruder ziehen zu wollen, der seit ein paar Jahren an der Westküste lebte. Von den Goldfunden durfte er nichts erzählen, auch wenn es Prescotts nervtötend langsame Reisegeschwindigkeit wahrscheinlich beschleunigt hätte. Obwohl das erste Gold bereits gefunden worden war, wusste man an der Ostküste noch nichts davon.
    Am meisten machte ihnen das wechselhafte Frühlings- und Frühsommerwetter zu schaffen. Heftige Gewitterstürme waren keine Seltenheit, und es kam vor, dass sie unter dem Planwagen Schutz suchen mussten, während Wind und Regen dessen oberen Teil gnadenlos zerfetzten. Mit den Indianern dagegen hatten sie insgesamt kaum Probleme. In den südlichen Plains wurden sie mehrmals von grimmigen Kiowa-Kriegern aufgehalten, doch mit Geschenken und Diplomatie ließ sich die Bedrohung jedes Mal abwenden. Sicher half es auch, dass sie sich weitgehend von Hasen- und Schlangenfleisch ernährten und ihre Flinten niemals auf einen Tatanka, einen Bison, richteten. Als sie das Große Becken erreichten, neigte sich der Sommer seinem Ende entgegen, und sie waren bis auf die Knochen abgemagert und müde. Manche Tage hatten sie nur von Wasser und ein paar Beeren gelebt.
    In Kalifornien angekommen, beging Darren einen Fehler. Als sie im gebirgigen Gebiet des Feather River an zwei Hütten vorüberkamen, die vier Digger aus dem Westen notdürftig zusammengestückelt hatten, roch es nach Fleisch und Kohlsuppe und frisch gebackenem Brot. Darren, in dessen Leben kulinarische Genüsse nie eine bedeutende Rolle gespielt hatten, wurde zum Spielball seines hungrigen Körpers. Er opferte einige der letzten Münzen, die ihm noch geblieben waren, und ließ sich von den Goldgräbern bewirten, die unlängst ihre ersten Funde gemacht hatten – die Männer zeigten ihm stolz einige hübsche Nuggets. Man schlug ihm vor, bei ihnen zu bleiben, und Darren war einverstanden und ließ Prescott ziehen. Die vier sahen in dem stillen, ausgemergelten Mann offenbar ein wehrloses Arbeitstier, das man nach Lust und Laune schinden und mit ein paar Löffeln heißer Suppe abspeisen konnte. Fleisch gab man ihm nur, solange er dafür bezahlte. Später würde er dann nehmen müssen, was übrig war.
    Als Darren begriff, in welch reizende Gesellschaft er sich verirrt hatte, war es bereits zu spät für einen Rückzieher. Die beiden Hütten – „Rich Stone Valley“ – waren zu abgelegen und Prescotts Wagen zu weit entfernt, um den vier Diggern noch zu entfliehen.
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