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Silvy will die Erste sein

Silvy will die Erste sein

Titel: Silvy will die Erste sein
Autoren: Marie Louise Fischer
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lächelte.
„Habe ich euch das nie erzählt? Doch, ich bin verheiratet. Mein Mann ist Maler.
Deshalb wohnen wir auch so hoch. Er hat nach Norden hinaus sein Atelier.“ Sie
nahm in einem bequemen Sessel Platz. „Aber wir sind nicht zusammengekommen, um
über mich, sondern über euch zu sprechen. Seit einiger Zeit ist ein Geist in
der sechsten Klasse eingezogen, der mir gar nicht gefällt.“
    „Daran ist Katrin schuld“,
erklärte Silvy prompt, „bevor sie zu uns gekommen ist, war alles viel netter!“
    Katrin zog eine Grimasse.
    „Das ist doch gar nicht wahr!“
rief Leonore empört.
    „Auf jeden Fall, meine liebe
Silvy“, sagte Frau Dr. Mohrmann, „ist es immer falsch, alle Schuld bei jemand anderem
zu suchen. Bist du so überzeugt, daß dein Benehmen einwandfrei war?“
    „Ja! Abschreiben ist Betrug!
Niemand kann mir einen Vorwurf daraus machen, daß ich bei so etwas nicht
mitmache.“
    „Ich glaube“, sagte Frau Dr.
Mohrmann, „wir sollten uns zuerst einmal überlegen, wozu Klassenarbeiten und
das Abfragen von Wissen in der Schule überhaupt nötig sind...“
    „Wegen der Zensuren“, sagte
Silvy.
    „Ja, damit gerechte Zensuren
gegeben werden können“, erklärte auch Leonore.
    „Stimmt“, sagte Frau Dr.
Mohrmann, „aber das ist nicht das Wichtigste, sondern die Arbeiten und die
Antworten dienen uns Lehrern zur Kontrolle darüber, wie weit jede einzelne von
euch den Lehrstoff beherrscht und wie weit er auch in der ganzen Klasse
aufgenommen und verarbeitet worden ist. Bevor ich mich vergewissert habe, daß
die überwiegende Mehrheit von euch ein Lerngebiet beherrscht, kann ich nicht
weitergehen, und wenn ich merke, daß eine einzelne Schülerin nicht mehr
mitkommt, muß ich mich besonders mit ihr befassen... versteht ihr das?“
    „Ja!“ riefen alle drei.
    Silvy sagte: „Aber die Zensuren
sind doch auch wichtig!“
    „Als Kontrolle, ja“, räumte
Frau Dr. Mohrmann ein, „und auch als Anfeuerung zum Lernen. Aber wenn eine
Schülerin nur wegen der Noten oder nur vorwiegend wegen der Noten lernt, so ist
diese Einstellung ganz gewiß falsch.“
    „Siehste!“ triumphierte Katrin.
    „Eine gute Schülerin“, ergänzte
Frau Dr. Mohrmann, „sollte lernen um des Lernens willen, um ihr Wissen und ihr
Weltbild zu erweitern, ihren Verstand zu üben, einen Zugang zur Wirklichkeit zu
gewinnen, nicht aber um sich auszuzeichnen, und schon gar nicht, um ihre
Mitschülerinnen in den Schatten zu stellen.“ Sie machte eine kleine Pause.
„Bist du jetzt immer noch überzeugt, Silvy, daß deine Einstellung ganz richtig
ist?“
    „Meine Eltern freuen sich über
jede gute Zensur!“
    „Das glaube ich dir. Weil sie
aus den guten Zensuren entnehmen, daß du in der Schule etwas leistest. Sie
würden sich aber sicher nicht freuen, wenn sie wüßten, daß du dich in den Ruf
einer Streberin gebracht hast.“
    Silvy sprang auf. „Nur weil ich
gerne gute Noten habe? Und weil ich nicht abschreiben lasse? Und auch nicht
vorsage? Gut, das muß ich nur wissen. Von nun an sind mir die Noten ganz egal,
und ich werde dauernd abschreiben lassen und...“
    Frau Dr. Mohrmann lachte.
„Aber, Silvy, kennst du dich wirklich so schlecht? Das könntest du nicht, auch
wenn du es noch so sehr wolltest. Außerdem weißt du doch genau, daß ich es so
nicht gemeint habe, nicht wahr?“
    „Wie denn?“
    „Komm, setz dich erst mal
wieder hin!“ Frau Dr. Mohrmann reichte Silvy die Hand und zog sie auf das Sofa
zurück. „Abschreiben und Vorsagen ist natürlich schlecht. Es ist, wie du ganz
richtig vorhin sagtest, Betrug. Eine Schülerin, die sich auf diese Weise mit
fremden Federn schmückt, gibt sich als etwas aus, was sie in Wirklichkeit nicht
ist... sie ist nichts anderes als eine Hochstaplerin!“
    „Siehste!“ sagte Silvy und
streckte Katrin die Zunge heraus.
    „Außerdem erschwert sie den
Lehrern die unbedingt notwendige Kontrolle“, fuhr Frau Dr. Mohrmann fort, „und
sie stört ihre Mitschülerinnen, die sie ja von der eigenen Arbeit ablenkt.“
    Frau Dr. Mohrmann stand auf und
holte ein Heft von ihrem Schreibtisch. „Sieh her, Katrin! Hier hast du einen
Fehler gemacht, den du bestimmt gefunden hättest, wenn du, statt einen
Spickzettel für Leonore zu schreiben, deine eigene Arbeit noch einmal
kontrolliert hättest!“
    „Tut mir leid“, sagte Katrin,
„aber... da kann man nichts machen.“
    Silvy runzelte die Stirn.
„Jetzt weiß ich überhaupt nichts mehr. Man soll nicht nur wegen der Zensuren
arbeiten... und
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