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Silvy will die Erste sein

Silvy will die Erste sein

Titel: Silvy will die Erste sein
Autoren: Marie Louise Fischer
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Mädchen glitten über das Papier. Im
Klassenzimmer war es ganz still. Man hörte das Summen einer Fliege und vom
Sportplatz her die Zurufe der großen Mädchen.
    Silvy verglich fieberhaft die
erste ihrer Aufgaben mit den Zahlenkolonnen, die sie sich ins Gedächtnis
geprägt hatte. Sie fand keinerlei Ähnlichkeit. Oder doch? Hier die zweite, ja,
sie begann mit der gleichen Zahl wie die vierte Aufgabe aus der dritten Reihe,
die Olga ihr gegeben hatte — nein, doch nicht, die Übereinstimmung war nur
Zufall gewesen.
    Während alle anderen schon
mitten im Rechnen waren, ging Silvy mit einem Mal ein blitzhelles Licht auf;
sie war hereingelegt worden!

    Ihr spitzes Gesicht unter dem
aschblonden Haar lief bis zu den Ohren puterrot an, als ihr diese Erkenntnis
kam.
    Wäre sie nun nicht Silvy
gewesen, so hätte sie wahrscheinlich innerlich getobt, Rache geschworen oder
sich geschämt, aber sich eins, zwei, drei darangemacht, die vor ihr liegenden
Aufgaben zu lösen, und den Vorsprung der anderen — ohne hinzusehen, war ihr bewußt
geworden, daß Katrin schon mit der zweiten Aufgabe begonnen hatte — so schnell
wie möglich einzuholen. Aber Silvy war nun eben Silvy, und wenn sie etwas nicht
ertragen konnte, so war es das, eine Niederlage mit Haltung einzustecken.
    Sie erhob sich langsam zu ihrer
vollen Größe und sagte mit einer Stimme, die das Schweigen der Klasse
schneidend durchbrach: „Das ist die größte Gemeinheit, die ich je erlebt habe!“
    Alle Köpfe fuhren hoch, und
sämtliche Federhalter stoppten mitten im Schwung.
    Dr. Künzel sah Silvy an, und
weil sie so rot im Gesicht war, glaubte er allen Ernstes an einen Sonnenstich.
„Ist dir nicht gut, Heinze?“ fragte er. „Das kommt vom Wetter. Bitte, reg dich
nicht auf! Komm, Bär, hilf mir, Silvy zu Schwabes hinunterzubringen...“
    Katrin legte die Hand auf ihren
Arm.
    „Rühr mich nicht an!“ schrie
Silvy wild. „Als wüßte ich nicht, daß du, ausgerechnet du, hinter der ganzen
Sache steckst! Niemand anders als du ist imstande, sich eine... eine solche
Gemeinheit auszudenken.“
    „Sei friedlich, Silvy“, sagte
Katrin, „setz dich und reg dich ab. Wenn du nur mal fünf Minuten nachdenkst,
wird dir klarwerden, daß das eine Sache ist, die wir unter uns ausmachen
sollten.“ Inzwischen hatte Dr. Künzel begriffen, daß Silvy durchaus nicht von
Sinnen war, sondern daß ihr Ausbruch eine reelle Ursache haben mußte. Aber er
wußte aus Erfahrung, daß es nicht sehr lohnend war, sich in die Streitereien
seiner Schülerinnen einzumischen.
    „Sehr richtig“, sagte er, „wenn
es weiter nichts ist, dann setz dich, Heinze, und halte nicht den ganzen
Betrieb auf.“
    Katrin hatte sich schon wieder
niedergelassen; sie zupfte Silvy am Kleid. „Nimm Vernunft an, Silvy!“
    Aber Silvy war nicht mehr zu
bremsen. „Wenn es weiter nichts ist, Herr Doktor!“ rief sie. „Man hat mich
reingelegt, und ich... ich verlange Bestrafung der Übeltäterinnen.“
    Dr. Künzel sah auf seine
Armbanduhr. „Ach herrje“, sagte er, „dann muß ich mir also wohl oder übel deine
Geschichte anhören. Pause, meine Damen. Legt den Federhalter hin und hört zu.
In all der Aufregung kann man ja nicht vernünftig rechnen. Also raus mit der
Sprache, Heinze, aber mach es kurz.“
    Aber das war für Silvy gar
nicht so einfach, denn sie wußte nicht, wie sie anfangen sollte, und so
stotterte sie ziemlich hilflos herum, bis Olga sich meldete. Auch sie war sehr
rot im Gesicht, aber zum ersten Mal in ihrem Leben machte sie sich gar nichts
daraus. „Herr Doktor“, sagte sie, „darf ich es vielleicht erzählen?“
    „Hast du etwa auch etwas damit
zu tun?“
    „Ja, eine ganze Menge. Aber ich
werde es kurzmachen. Wir... das sind Katrin, Ruth, Leonore und ich... wir haben
uns über Silvy wahnsinnig geärgert, weil wir es doch nur ihr verdanken, daß wir
heute hier sitzen müssen, und weil wir ihr ganzes Verhalten schauderhaft
unkameradschaftlich fanden. Deshalb wollten wir ihr einen Denkzettel verpassen
und haben so getan, als ob wir die Aufgaben schon im vorhinein wüßten.“
    „Du hast gesagt, Doktor Künzel
hätte sie Katrin gegeben!“ rief Silvy anklagend.
    „Das ist nicht wahr“,
verteidigte sich Olga, „im Gegenteil, ich habe erklärt, daß ich das für
ausgeschlossen halte, sondern annähme, Katrin hätte sie aus dem Konferenzzimmer
stibitzt.“
    „Du lieber Himmel“, sagte Dr.
Künzel, „das eine wie das andere ist doch gleich unwahrscheinlich.“
    „Aber Silvy hat’s
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