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Sieg des Herzens

Sieg des Herzens

Titel: Sieg des Herzens
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ihr Gesang, den sie vor dem Schlaf noch anstimmte, weckte im Dichter Erinnerungen an seine Kindheit. Drosseln hatte es auch im Garten seines Elternhauses gegeben.
    Bei einem kleinen Wäldchen, in der Nähe eines Dorfes, hielt die Kolonne an, die Pferde wurden ausgespannt, und die Menschen holten aus Kisten und Stroh Geschirr und die kärglichen Reste des Mahles vom Tag zuvor, setzten sich in das abendfeuchte Moos und gaben den Zähnen und dem Magen Arbeit, doch dem Körper und dem Blut keine Stärke.
    »Noch leben wir«, sagte der Dichter zu seiner Gefährtin und kaute an einem Brotkanten, der trocken und hart war, fast eine Woche alt. »Noch tragen uns die Füße, und der Geist denkt. Mehr können wir nicht verlangen. Was wollen wir mehr vom Leben als leben?«
    Und all die Komödianten, die ihn aus Mitleid als sogenannten Hausdichter mitschleppten, nickten zustimmend, denn sie waren zu alt und zu stumpf geworden zum Denken. Nur ein junger, etwas verkrüppelter Mann, der den Harlekin spielte und auf geheimnisvolle Art zu der Truppe gestoßen war, mit einem blutverkrusteten Dolch im Gürtel, schien damit nicht einverstanden zu sein. Er schüttelte den Kopf und sagte: »Leben? Was ist das? Ein Strick, ein Degenstoß, ein Sturz in den Abgrund – und du bist nicht mehr. Einen Wurm kann man in Stücke schneiden, er lebt weiter, der Kopf, der Rumpf, der Schwanz, ein jedes Stück für sich. Doch der Mensch? Er ist, wenn du es so nimmst, weniger als ein Wurm mit seinem Leben. Denken allerdings kann der Wurm nicht, über sich nachdenken. Wir hingegen können das. Doch sehe ich uns so an, scheint es mir eher ein Fluch zu sein denn ein Segen, daß wir denken können.«
    Daraufhin wurde es still im Kreis, nur das auf kleiner Flamme gehaltene Lagerfeuer knisterte leise, und sein flackernder Schein verlor sich auf halber Höhe an den Stämmen der Kiefern und Fichten in der Dunkelheit.
    Neugierig und mit verstecktem Spott traten ein paar Bauern und fünf, sechs Burschen aus dem nahen Dorf hinzu, die der Feuerschein und das Wiehern der Pferde angelockt hatte.
    »Habt ihr Lust, uns noch eine Vorstellung zu geben?« fragte ein Bauer, dessen Kleidung und Bauch auf eine gewisse Wohlhabenheit schließen ließen, die sich freilich, wie bei jedem seines Standes, in Grenzen hielt. Eine kleine Mühle, die sich noch auf seinem Grund befand, sicherte ihm Nebeneinkünfte. »Aber etwas Lustiges!«
    »Zum Weinen lassen wir uns vom Pfarrer anstiften. Zum Weinen über unsere Sünden«, setzte keck einer der jungen Burschen hinzu.
    »Morgen ist ohnehin schon wieder Sonntag, und er wäscht uns von der Kanzel herab die Köpfe!« rief ein zweiter.
    »Also, was ist?« fragte der dicke Mühlenbesitzer. »Einen halben Dukaten zahle ich.«
    Einen halben Dukaten!
    Ist die Kunst eine Ware des Marktes, die man für billiges Geld kauft wie Gemüse, Gewürzkräuter und Federvieh?
    Ein halber Dukaten!
    Kunst ist ein Heiligtum, ist ein Reichtum der Seele, ist ein Altar Gottes im Herzen der Menschen, die fühlen, was Kunst bedeutet, was Kunst gibt, wie Kunst stärkt.
    Ein halber Dukaten!
    Spring ihm ins feiste Gesicht! schrie es in der Brust des Dichters. Rasch trieb es ihm das Blut in seine Schläfen, daß die Adern schwollen.
    Zeig ihm, daß wir den seelischen Adel in uns tragen und keine Bettler oder Zigeuner sind.
    Ein halber Dukaten!
    Doch der Hunger wühlt in den Eingeweiden, der Magen knurrt. Ein halber Dukaten – das bedeutet Essen für zwei Tage. Zwei Tage! Eine Ewigkeit! In zwei Tagen kann man reich sein oder unter dem Rasen liegen.
    Sieh deine Frau an, Dichterling, sieh ihre Knochen aus den Backen hervortreten, sieh ihre Augenhöhlen und das Fieber im Blick, sieh ihre hagere, ausgezehrte Gestalt.
    Und ein halber Dukaten.
    »Baut auf!« sagte er zur Truppe, und es war eine fremde Stimme, die sprach.
    Die Komödianten legten einige Bretter von Wagen zu Wagen und errichteten so eine primitive Bühne über der Erde. Auf diese hinauf stieg der Dichter und verbeugte sich. Mit getragener Stimme schickte er sich an, buchstäblich Perlen vor die Säue zu werfen, indem er den Prolog sprach:
    »Versteht, wie wahre Kunst euch wandelt,
beschenkt euch mit dem süßen Trost,
der Angst und Leiden dieser Erde
euch still ins Lachen überführt.
Seht auf zu uns, wir spielen euch
das Leben, nicht den billigen Scherz.
Fällt unser Vorhang, Menschen, seht
in euch und heilt den grauen Schmerz,
der euren Seelen widersteht –
seht euren Geist als ein Gebet
zu dem an, der
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