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Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)

Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)

Titel: Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)
Autoren: Viola Di Grado
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Rauchzeichen.
    »Mama, soll ich jemanden anrufen, der die Heizung repariert?«
    »Möchtest du noch ein paar Spaghetti?«
    »Soll ich das Programm lassen, oder schauen wir uns lieber eine DVD an?«
    Jede Frage kam zu mir zurück wie ein Bumerang. »Das ist nicht in Ordnung«, sagte ich zum wiederholten Mal, während sie einer Spinne zuschaute, die die Wand hoch krabbelte. Bei meiner Frage: »Wie geht es dir heute Morgen?«, schloss sie die Augen. Als ich fragte: »Willst du die Milch heiß oder kalt?«, ging sie ins Bad. »Diese Schauspielerin ist ganz schön alt geworden, stimmt’s?«, sagte ich, aber sie kaute nur an den Fingernägeln.
    An manchen Tagen schien sie einen Wettbewerb mit den Gegenständen auszutragen, wer es länger aushielt, kein Geräusch zu machen. Sie stellte sich vor den Kühlschrank. Und sie gewann immer.
    Meine Stimme legte sich schüchtern über ihr Schweigen.
    Als ihr Geigerkollege erfuhr, warum sie mit dem Spielen aufgehört hatte, sagte er zu ihr: »Du bist so blöd, dein Leben einfach so wegzuschmeißen«, und auch meine Großmutter sagte am Telefon etwas Ähnliches, aber ich lächelte nur, weil ich mittlerweile mit von der Partie war.
    Es begriff einfach keiner, dass es die Wörter sind, die sich dem Leben entgegenstellen, sie entstehen in deinem Kopf, du bildest sie in deinem Mund, doch dann schmierst du deine Stimme darüber wie Butter und tötest sie für immer. Die Sprache ist wie ein unbewusstes Krematorium, das teilen will und dabei doch zerstört, wie die Klingen an Edwards Scherenhänden, mit denen er dir das Gesicht zerschneidet, wenn er dich streichelt.
    Ich gewöhnte mir das Reden ab, als ginge es nur darum, mir das Rauchen abzugewöhnen. Ich lernte einfach, die Wörter im Mund zu behalten, so wie man es mit unangenehmen Geräuschen des Körpers tut.
    Es war auch jener Tag im Dezember, als der Junge, der die Werbung verteilte, mit dem letzten Werbeblättchen kam, in dem ein Müllzerkleinerer angeboten wurde. Vom Fenster aus beobachtete ich ihn, wie er den Prospekt durch den Briefschlitz warf, ich sah seine Hand, die ihn hindurch schob, und in dem Schlitz ist der Prospekt für immer geblieben und fällt nicht mal raus, wenn man die Tür aufmacht.
    Dank des Geldes, das wir beiseite gelegt hatten, konnten wir uns eine Weile über Wasser halten. Ohne zu arbeiten, ohne irgendwas zu tun.
    Es war fast ein Monat vergangen, als ich mir einen Ruck gab und mich offiziell von der Uni abmeldete.
    Sie werden denken, damals befanden wir uns im Januar des Jahres 2005. Aber das stimmt nicht. Wenn man aus dem kompletten Fehlen von Schatten auf dem Boden ausgeht (eine Uhr hatte ich schließlich nicht mehr), musste es immer noch Dezember 2004 sein, denn seit dieser Zeit hatte sich die Sonne nicht mehr dazu herabgelassen, einen Schatten zu werfen.
    Ich ging den glitzernden Teil der Woodhouse Street mit all ihren Neon-Versuchungen entlang, und dann durch den kleinen, kümmerlichen Park mit seinen Beeten voller Spritzen, mit denen man sich jederzeit in den Fuß stechen kann. Ich kam an der Woodhouse Lane mit ihren Bäckereien heraus, in denen ganze Batterien fetter Muffins aufmarschiert waren. Sie hatten entweder dicke Glasuren in Heidelbeerblau oder Bananengelb, komplizierte Aufbauten aus Zucker oder eine Füllung aus Sturzbächen von Pfirsichmarmelade.
    Und da war der riesige Hyde Park, ein weißes Theater, in dem gerade das obszöne Spektakel eines Sonnenuntergangs gegeben wurde, während der rote Kopf der Sonne sich langsam senkte, um an den schwarzen Kronen der Bäume zu lecken. Aber ist es nicht zu spät für einen Sonnenuntergang? Dann ist vielleicht wirklich kein Dezember mehr! Was haben wir dann für einen Monat?
    Die Antwort kam prompt wie bei einer Freephone-Nummer: »Dezember.« – »Aber die Sonne geht jetzt erst unter«, erwiderst du. Und die Stimme sagt: »Dezember. Danke für Ihren Anruf.«
    Dann füllte sich die Straße mit Pubs, die fast immer Tiere im Namen haben, meistens das Pferd oder das Huhn, und am Ende des lustigen Bauernhofes kam ein anderer Pub, der »Library« heißt, damit man glaubt, man befindet sich in einer Bücherei. Dann das elend hohe Parkinson Building, die Uni, ein gewaltiger phallischer Turm, an dem eine Plakette verkündet: »Die Standfestigkeit dieses Gebäudes verdanken wir einer großzügigen Spende unseres aufrechten Bürgers, Mr. Parkinson.«
    Vor dem Eingang versahen die typischen angelsächsischen Wach-Wauwaus ihren Dienst, die dich mit einem Lächeln
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