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Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)

Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)

Titel: Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)
Autoren: Viola Di Grado
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Teil, in dem dich die Journalisten nach deinen Plänen fragen und du sie anschaust wie eine Wachsfigur aus Madame Tussauds Kabinett, die aber eigentlich gar keine Ähnlichkeit mit Mrs. Mega hat.«
    Peng.
    Ich schlug die Tür hinter mir zu und schloss damit dieses ganze verlogene Licht aus, das Auto der Journalisten, das auf Nimmerwiedersehen davonfuhr, und den Himmel, der die Farbe von Zuckerwatte-wenn-du-brav-bist hatte.
    Meine Mutter saß immer noch auf dem Sofa, und ich sagte zu ihr: »Nächstes Mal mache ich nicht mehr auf, keine Sorge.«
    Sie antwortete mir mit ihrem Blick, der sagte: Einverstanden , und der Fleck auf dem Oberteil ihres Trainingsanzuges war zur anderen Brust hinübergewandert, vielleicht war es auch nur eine optische Täuschung und lag am Licht, oder an der Dunkelheit, was weiß ich.
    »Mama, wo hast du denn eigentlich diesen Trainingsanzug her?«
    Keine Antwort.
    Mir kam eine Idee. Ich holte ihre Flöte und versteckte sie. Dann musste sie mich ja früher oder später fragen, wo ich sie hingetan hatte. Sie hätte gleich gewusst, dass ich sie versteckt hatte. Das hatte ich oft gemacht, als ich noch klein war. Damals steckte ich die Flöte in die Waschmaschine, weil meine Mutter so viele Konzerte gab und sich nicht um mich kümmerte. Stundenlang schaute ich sie mir dann mit erbarmungsloser Neugier an, als würde ich durch das Bullauge eines U-Boots einen silbrigen Aal beobachten.
    Auch an dem Tag versteckte ich die Flöte in der Waschmaschine. Es bereitete mir ein seltsames Vergnügen, sie auseinander zu schrauben. Sie wurde zu drei Metallärmchen, die wie die schutzlosen Greifarme eines Roboters aussahen. Ich steckte sie in die Waschmaschine und machte die Tür zu.
    Zwei Tage vergingen. Dann traf ich meine Mutter alleine an. Ich saß in der Küche und fragte mich gerade, woher unsere Telefonrechnung von über hundert Pfund kam, wo wir doch unser Mobilteil verloren hatten, aber in Wirklichkeit kritzelte ich bloß irgendwas aufs Papier. Draußen vor dem schmutzigen Fenster war nur Schnee zu sehen. Er hatte die Hundehütte unserer Nachbarn eingehüllt, die man sonst von hier aus sah, und sogar diese falsche Sonne, die die beiden übergewichtigen Journalisten mitgenommen hatten.
    Sie tauchte in ihrem grauen Trainingsanzug auf, der jetzt auch einen Soßenfleck auf dem Bauch hatte. Er war groß und rot wie ein Hautausschlag, sah bei Lampenlicht jedoch so aus wie ein chinesisches Amulett.
    Sie holte die Flöte aus der Maschine und schraubte sie behutsam zusammen, hielt sie sich dann an die Lippen. Ich schaute ihr dabei zu, wie sie mit geschlossenen Augen die Tasten drückte, aber es kam kein Ton heraus. Mich traf es wie ein Schlag: Was, wenn die Feuchtigkeit in der Waschmaschine die Flöte ruiniert hatte? Als meine Mutter aus der Küche ging, nahm ich das Instrument mit klopfendem Herzen und versuchte darauf zu spielen. Die Flöte funktionierte noch. Obwohl ich meistens nur einen einzigen Ton herausbekomme. Er klingt wie das Pfeifen eines leeren Zuges, der immer im Kreis fährt.
    Der Dezember ging normal weiter, bis auf diese lässliche Sünde, dass er wieder von vorne anfing, als er beim einunddreißigsten angelangt war. Andererseits war das besser so, denn wer mag schon Silvesterpartys?
    Meine Mutter sagte nach wie vor kein Wort. Nicht einmal, als meine Großmutter aus Italien anrief, ein perverses Ritual, das ich selber ins Leben gerufen hatte, als ich uns einen Wandapparat kaufte, doch als ich zu meiner Großmutter sagte: »Ich geb sie dir«, blieb der Hörer an der Wand hängen.
    Ich war verwirrt. Man rechnet doch damit, dass jemand etwas sagt. Aber von menschlichen Wesen wird schließlich so allerhand erwartet.
    »Jetzt komm, Mama, gehen wir raus, ich bitte dich. Gehen wir zusammen Notenblätter kaufen.«
    Sie antwortete mir mit den Augen. Wie ein Kind, das durch ein Aquarium schaut, beobachtete ich, wie sie faul auf dem Sofa lag und dabei höchstens die Lider auf und ab bewegte, wie sie an die Decke schaute, sich dann auf eine Seite drehte und an die Wand stierte.
    »Mama, soll ich dir einen grünen Tee machen?«
    Schweigen.
    Als ich mit der Tasse zurückkam, lag sie immer noch auf der Seite. Sie setzte sich auf, und ich nahm neben ihr Platz. Ich fragte, ob sie noch Zucker wolle, und wartete wenigstens auf eine stumme Antwort, ein Nicken oder dergleichen. Mittlerweile suchte ich sogar in ihrem Atem, der wie eine kleine Dampfwolke aus ihrem Mund kam, nach einer Botschaft, als wären es
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