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Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)

Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)

Titel: Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)
Autoren: Viola Di Grado
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beobachtete, wie sich das Blut unter seinem Kopf ausbreitete.
    Ob du mich siehst oder nicht, ich bin die mit den schwarzen Haaren und der Nase aus dem Sonderangebot. Die dort, die schon Nacht ist und bei der jetzt gleich Schluss ist, auch wenn du eine Geschichte wolltest, bei der alles den richtigen Ton und die richtige Farbe hat, in der die Schmetterlinge fliegen und die Menschen reden und lieben und reden und lieben.
    Eine solche Geschichte kannst du dir vielleicht erlauben. Du, der du es die ganze Nacht mit ihr treiben und dir dann einfach eine neue ausdenken kannst, und dann noch eine, bis du dir das ganze Leben mit Schmetterlingen anfüllen kannst, die fliegen, und mit Erinnerungen, die bleiben. Mit Geschichten wie der dort. Weißt du was? Nimm sie als Putzlappen fürs Bad, diese Geschichte, oder was weiß ich, polstere damit deinen Käfig mit der singenden Grille. Jedenfalls reicht es, wenn du sie irgendwie loswirst, hier in Leeds nützt sie dir nichts, und die Kids aus der Christopher Road würden ihr sowieso auf der Straße den Garaus machen.
    Livia Mega saß vor der Glotze. Sie trug ein lila Kostüm und eine lange Amethystkette. Ein kunstvoll geflochtener blonder Zopf ruhte anmutig auf ihrem Dekolleté wie eine Goldmedaille.
    Sie schaute sich den isländischen Film an, wer weiß, wie lange diese geliehene DVD jetzt schon im Haus war. Es war die Szene mit Nói, der nach der tödlichen Lawine im Schnee sitzt und durch ein Spielzeugfernrohr Bilder von Palmen und sonnenbeschienenen Stränden anschaut.
    Dann erblickte sie mich. Sie sagte mit ihrer eigenen Stimme: »Weißt du zufällig, wo Francis hingegangen ist, nachdem er dir die Schlüssel gebracht hat? Er sollte mich schon vor drei Stunden abholen … Jetzt haben wir den Zug verpasst.«
    Ich antwortete ihr mit dem Lächeln, das bedeutet: Ist schon gut, Mama.
    Ich machte die Tür hinter mir zu.
    Sie stand auf, kam mir entgegen. Sie schaute die Krawatte mit den Papageien an, die ich mir um die Taille gebunden hatte. Dann wich sie vor mir zurück, die Hände vor den Mund geschlagen, ohne einen Blick von sich zu geben, aber ich spürte dennoch den Wind, der mir direkt ins Ohr wehte.
    »Bleib ganz ruhig, Mama, alles wird wie früher. Jetzt sind es wieder bloß nur wir beide. Für immer. Wie ich es dir versprochen habe.«
    Ich drehte mich zu dem offenen Fenster. Es schneite, auch wenn schon der zwölfte war. Welcher Monat, weiß ich nicht. Ich machte das Fenster zu.
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