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Das Schlitzohr

Das Schlitzohr

Titel: Das Schlitzohr
Autoren: Albert Schöchle
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Das Glück beginnt
mit einem alten Haus
     
     
    Wenn ich heute im Köpfhof am Fenster
sitze und auf das Illertal hinuntersehe, mit seinen Bauernhäusern, Kirchlein,
Weilern und dazwischen das liebe alte Kempten — die Neubauten wegzudenken fällt
mir leicht — , aus dem stolz die Türme der Stiftskirche und die schlanke Nadel
des Turms von St. Mang herausragen, empfinde ich dankbar, daß ich im Leben
ungeheuer viel Glück gehabt habe.
    Das Glück begann schon damit, daß ich
in ein wunderbares altes Haus hineingeboren wurde, mit breiten Gängen und
Treppen, mit meterdicken Mauern, in deren tiefen Fensterleibungen man sich
heimelig fühlte. Es war so herrlich verwinkelt, daß ich schon in frühester
Jugend die abenteuerlichsten Entdeckungsreisen machen konnte. Jeder Besitzer
nämlich fühlte sich veranlaßt, ein Stück dazuzubauen oder manchmal auch
abzureißen, dies allerdings selten, denn man war früher damit nicht so leicht
zur Hand wie heute. Den breiten Korridoren schlossen sich enge Gänge mit geheimnisvollem
Halbdunkel an. Neben den bequemen Treppen gab es verwundene Treppensteige.
Manche Türen führten zu fensterlosen Kammern, in denen Urväter-Hausrat lag, den
man damals als alten Kruscht bezeichnete, und der nur deshalb hier liegenblieb,
weil so viele Räume da waren, daß niemand auf die Idee kam, das alte Gerümpel
hinauszuwerfen, um Platz für Neues zu schaffen. Dazu gab es noch Dachböden über
Dachböden, von denen wieder die Dachböden der Nebengebäude abgingen, die mit
noch wertloserem Gerümpel vollgestopft waren als es die Kammern bargen. Heute
würde dieser Kram das Lager eines oder mehrerer Antiquitätengeschäfte füllen,
wohl auch deshalb, weil unser altes Haus ein Hotel war, für dessen Zimmer mit
50 Gastbetten eine ziemliche Menge Möbel und anderer Einrichtungsgegenstände
zum Austauschen bereitstehen mußten. Diese Kammern und Böden waren ein
Wunderland für Kinder — man durfte sich dort nur nicht erwischen lassen. Warum
wir Kinder hier nicht stöbern durften, war mir eigentlich ein Rätsel, denn durch
verschiedene Suchaktionen der Erwachsenen war die Unordnung so groß, daß wir
sie auch nicht mehr vergrößern konnten. Der größte Dachboden diente zum
Wäschetrocknen. An seinem Ende befanden sich die Kammern der weiblichen
Dienstboten. Das waren bessere Holzverschläge, die mit einfacher Kalkfarbe
getüncht waren. Diese Kammern, besonders die des Küchenpersonals, übten eine
ungeheuerliche Faszination auf uns Kinder aus, denn nirgends roch es so
betörend nach Pomade, Rheumamitteln und billiger Seife wie hier. Ein besonderes
Refugium für Kinder war das Stallgebäude mit dem Heuboden und den Kammern für
die männlichen Dienstboten. Es war eine wahre Lust, durch den ganzen Heustock
hindurch Stollen zu graben oder Nester anzulegen. Hier Verstecken zu spielen,
überstieg fast die Grenzen kindlicher Wonne.
    Das Herz des Hauses bildete eine
riesengroße Küche, mit Spülküche und Speisekammern. Mit der Küche durch ein
Büffet verbunden, war der Speisesaal. Der Stolz meines Vaters war eine
Glasveranda, die er als weiteres Anhängsel an den früheren Gebäudekomplex
anpappen ließ. Daneben gab es noch ein Kaffeerestaurant. Diese Räume waren für
uns Kinder tabu. Nur zum Mittag- und Abendessen durften wir in den Speisesaal.
Diesen Mahlzeiten ging jeweils ein hygienischer und ästhetischer, aber meist
hoffnungsloser Überholungsversuch meines Äußeren voraus. Das Ganze sehr zu
meinem Mißvergnügen. Ein Gastraum übte eine ganz besondere Anziehungskraft auf
mich aus, nämlich die Kutscher- oder Bauernstube. Selbstverständlich hatte ich
auch hier nichts zu suchen, aber hier herrschte kein Oberkellner, sondern die
Piccolos meines Vaters, zwei meiner Busenfreunde, die mir sofort Zeichen gaben,
wenn Gefahr im Verzug war.
    Das also war das Haus, in das ich am
13.März 1905 hineingeboren wurde. Es steht in Kempten/Allgäu, Ecke Post- und
Salzstraße, und heißt Hotel »Zur Post«.
    Als ich geboren wurde, war bei meinen
Eltern die Freude groß, daß der längst erwartete Stammhalter angekommen war.
Meine guten Eltern ahnten ja noch nicht, was ihnen mit mir noch alles
bevorstand. So wünschten sie sich ihren Sohn als ordentliches und sauberes
Kind, während ich lieber in den Straßenrinnen ein Meister im Dammbauen wurde,
und das möglichst im Sonntagsanzug. Jedoch sei der Objektivität halber gesagt,
daß es mir auch an Werktagen gelang, die Anzüge in genauso kurzer Zeit
schmutzig zu
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