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Sieben Stunden im April

Sieben Stunden im April

Titel: Sieben Stunden im April
Autoren: Susanne Preusker
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Welt. Und wenn man das nicht hören möchte oder so tut, als verstünde man es nicht, kann es zur Not auch mal brüllen, das Meer. Ersetze Meer durch Berg, Fluss, Baum. Ersetze Meer durch Natur.
    Lachen. Über Filme und Geschichten und Anekdoten und Witze und ab und zu über sich selber. Einfach lachen, so oft es geht.Die Dämonen aus- und weglachen. Nein, falsch: Es ist nicht einfach. Es gab Zeiten, da war es sogar sehr, sehr schwer. Aber es war immer notwendig. Überlebensnotwendig.
    Musik. Lieder von Metallica, Serj Tankian, Nightwish, Manowar, Rosenstolz, Rammstein, Ich + Ich und vielen anderen. Niemandem muss diese Musik gefallen. Mir hat sie geholfen. Genauso wie die vielen Bücher, die ich gelesen und größtenteils schon wieder vergessen habe: Liebesgeschichten, Autobiographien, Krimis, sogenannte Werke der Weltliteratur. Es war alles dabei von anspruchsvoll bis unterste Schublade. Nur kein Fachbuch. Hätte ich ein Fachbuch gelesen, wäre ich mir vorgekommen wie der Tischler, bei dem daheim die Türen klemmen. Und der sich dann das Büchlein »Türen reparieren – leicht gemacht« zu Gemüte führt. Lächerlich. Ineffektiv. Überflüssig. Die klemmenden Tischlertüren und die psychischen Probleme einer Fachfrau sind durchaus vergleichbar – beide müssen auf ihrer eigenen Baustelle zum Schraubenzieher greifen. Dass es die eigene Baustelle ist, macht die Angelegenheit nicht unbedingt leichter.
    Hinhören. Hinsehen. Ein Trauma setzt Maßstäbe. Es ist verlockend, aber falsch, diese Maßstäbe anzulegen, um dann im trüben Gewässer der Eigenbezüglichkeiten abzutauchen. Hilfreicher ist es, genau hinzusehen und hinzuhören und dabei zu bemerken, dass andere Menschen andere Geschichten haben. Und ihre eigenen Maßstäbe. Wie raunt das Meer? Du bist nicht der Nabel der Welt. Die verschiedenen Nabel der verschiedenen Welten sehen anders aus. Und das ist auch gut so.
    Mut. Das Wichtigste war Mut: Mut, sich Hilfe zu holen. Mut, anderen Menschen zu vertrauen. Mut, mit ihnen rumzuzanken. Mut, Medikamente zu nehmen. Mut, eine psychotherapeutische Behandlung anzufangen, durchzustehen und auch zu gegebener Zeit zu beenden. Mut, auf kluge Leute zu hören, genau hinzuhören, was sie zu erzählen haben. Mut, etwas Neues anzufangen, neue Erfahrungen zuzulassen. Mut, sich darüber freuen zu können. Mut zur Dankbarkeit. Mut zur Akzeptanz des Unausweichlichen, der Akzeptanz von Angst, Unsicherheit, Entfremdung, Trauer, Scham, Wut, Rachewünschen, Neid, Selbstmitleid. Der Mut, nichts und niemandem Macht einzuräumen, der Welt, die andere Nabel hat, entgegenzutreten. Der Mut zum Kampf. Immer wieder aufs Neue. Der Mut, Rückschläge zu riskieren, einzustecken und trotzdem nicht aufzugeben. Der Mut, Fehler zu machen. Der Mut, Geduld zu haben. Und schließlich der Mut zum Glauben. Zu dem Glauben, dass nichts ohne Sinn geschieht. Dass es schon irgendwie weitergehen wird. Dass schon irgendwer aufpasst. Wer auch immer das ist. Und wie verquer dessen Logik auch aussehen oder sich anfühlen mag.
    Die Sache mit dem Mut war am schwersten. Es war anstrengend, sich immer wieder um diesen Mut zu bemühen. Bemühen. Das ist eine Vier minus. Aber eine Vier minus ist besser als eine Fünf.
    Zu diesem Kampf um Mut gehört es auch, Briefe wie den folgenden zu schreiben. Ich habe ihn nie abgeschickt, aber die Person, für die er gedacht ist, wird ihn hier lesen und verstehen, dass sie gemeint ist und worum es geht. Ganz sicher.
    Wir haben uns lange nicht gesehen. Es ist auch lange her, seit wir das letzte Mal miteinander telefoniert haben. Ich habe Dich angerufen, Deine Stimme klang anders als sonst und Du hast mir sofort Vorwürfe gemacht. Du hast gesagt, Du könntest nicht verstehen, wieso ich die Menschen, die ehemaligen Kollegen so fertiggemacht hätte. Vor Gericht so plattgemacht hätte – das waren Deine Worte. So hast Du es ausgedrückt. Ich habe niemanden plattgemacht. Ich habe nur Fragen gestellt. Und zwar den Leuten, die in den sieben Stunden, in denen ich unter Todesangst i mmer wieder vergewaltigt worden bin, ihre Arbeit nicht so gemacht haben, wie sie sie hätten machen müssen und sollen. Das habe ich Dir erklärt. Ich habe Dir auch erklärt, dass solche ­Fragen erlaubt sein müssen, wenn einer Frau inmitten eines Hochsicherheitsgefängnisses unter Augen und Ohren vieler Sicherheitsfachleute das passiert, was mir passiert ist. Solche Fragen müssen erlaubt sein. Ich habe lange genug im Gefängnis gearbeitet. Auch mir sind Fragen
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