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Sieben Stunden im April

Sieben Stunden im April

Titel: Sieben Stunden im April
Autoren: Susanne Preusker
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schließlich in mich gesehen hat. Und ich habe viele Hände, aber auch viel zu viele Pranken gedrückt. Beide Bilder sind von Nietzsche. Es reicht jetzt. Es ist genug. Das ist von mir.
    Ich muss auf die Suche gehen. Und werde die Suche damit beginnen, indem ich meine Geschichte aufschreibe. Gehalten und gestützt von starken Seilen.

Starke Seile machen sicher
    Ich habe versucht, all das zu beschreiben, was mir beim Überleben geholfen hat. Vor allem die Menschen, die weiter um mich herum sind und die mich nun bei meiner Suche begleiten werden. Die Menschen, die natürlich im richtigen Leben nicht Helmut, Moni oder Dr. Lange heißen. Das versteht sich ja von selbst.
    Einige fehlen noch.
    Die Entscheidung, ob ich sie an dieser Stelle erwähnen möchte, fiel leicht. Ich möchte nicht langweilen. Aber ich werde, ich will und ich muss jeden erwähnen, der aus meiner Sicht einen wichtigen Beitrag zu meinem Überleben geleistet hat. Und sei dieser auf den ersten Blick auch noch so klein. Ohne diese Menschen wären meine Geschichten vom Überleben unvollständig.
    Melanie war während der Verhandlung bei mir, bei uns. Sie hatte ihren unglaublichen Optimismus, ihre Schönheit, ihreMusik und ihre Filme dabei, auch ihre Stärke und ihre Sensibilität. Melanie weiß, was gemeint ist – ich habe nämlich viel zu wenig gekotzt, geschrien und geweint. Melanie hat gut für uns gesorgt in den Tagen, in denen wir so sehr auf Sorge angewiesen waren. Auf Sorge. Sorgen hatten wir nämlich schon genug.
    Bei Andrea habe ich einen wunderbaren Nachmittag auf der weltschönsten Dachterrasse verbracht. Ich durfte anders sein als früher und sie hat mich nicht komisch angesehen. Andrea hat die beste aller Emmas, die nie bellt. Mal abgesehen von den tausend Ausnahmesituationen, für die das nicht gilt. Andrea hatte einen senilen, stocktauben, inkontinenten Rauhaardackel – er ruhe in Frieden –, der auf unseren Teppich gepinkelt hat. Andrea hat es unter Protest rausgewaschen. Andrea hat eine hochneurotische weiße Perserkatze namens Lilli und Schröder, einen 10-Kilo-Kater. Andrea vertritt mit Vehemenz die Annahme, dass ihre Probleme im Regelfall größer sind als die aller anderen Menschen zusammen. Und Andrea wird nie, nie, absolut nie lernen, wie man ein vernünftiges Farbensolo beim Doppelkopf spielt. Eigentlich versteht sie noch nicht mal, was ein Farbensolo ist. Das alles bringt mich zum Lachen. Andrea wäre beleidigt, wenn ich kein Kochrezept von ihr erwähnte. Sie hält sich nämlich für eine besonders tolle Köchin, was aber nur dann zuträfe, wenn Körpergewicht und Kochkunst positiv korrelierten. Das tun sie nicht. Aber weil Andrea nun mal ist, wie sie ist, nehme ich ihr marokkanisches Hühnchen, das natürlich nicht aus Marokko stammt, in die Sammlung auf. Unter Protest.
    Saskia, die schöne Saskia, die Lakritze so sehr liebt, tritt mich in den Hintern, wenn ich keine Lust auf Sport habe. Außerdem plaudert sie mit mir von Balkon zu Balkon und freut sich, wenn ich ihr oder ihrem hinreißenden Sohn Socken stricke. Über kleinere und größere Schönheitsfehler sieht sie dabei geflissentlich hinweg – es geht doch nichts über echte und richtige Handarbeit, so sagt sie. Ich wüsste gern, ob Frau Hoppe vom Balkon schräg links unten manchmal zuhört, was Sassi und ich uns zu erzählen haben. Bei einer Zigarette. Von Balkon zu Balkon. Und was sie wohl über uns denkt.
    Sonja hat sehr bewegende Worte für mich gefunden, die mir wirklich ein Trost gewesen sind und mir das Gefühl genommen haben, von der Welt vergessen worden zu sein. Sie hat sich Mühe gegeben. Mit mir und für mich.
    Juliane war nie bereit aufzuhören, mich zu ermutigen, gut auf mich achtzugeben, neue Pläne zu entwerfen, zu träumen und alles hinter mir zu lassen, was mir nicht guttut. Und im Zweifel hat sie mir gesagt, was das genau ist.
    Klaus hat mich an einem sonnigen Sonntagvormittag auf einen schnellen Milchkaffee eingeladen. Und mir die Geschichte vom Säbelzahntiger, der unseren Altvorderen große Angst gemacht hat, erzählt. Ich erlebe manchmal die gleiche Angst. Nur ohne Tiger.
    Hannelore hat mir ein Täfelchen Trostschokolade geschenkt. Die hat natürlich sofort mein Mann verputzt oder eingeatmet, aber was soll’s. Trost bleibt Trost.
    Christina hat einen 100-Euro-Satz erfunden: »Eine Preusker und Angst? Das passt nicht zusammen.« Und sie hat mir eine kleine Suppenterrine aus ihrer umfangreichen Sammlung geschenkt. Das Beste war aber der Tipp mit der
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