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Sieben Siegel 10 - Mondwanderer

Sieben Siegel 10 - Mondwanderer

Titel: Sieben Siegel 10 - Mondwanderer
Autoren: Kai Meyer
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kam zu rätselhaften Unfällen. Einer der Wissenschaftler verschwand, und man fand morgens nur noch eines seiner Brillengläser am Waldrand. Das war 1976 oder 77, ich bin mir nicht sicher. Auf jeden Fall kurz nachdem die gesamte Anlage auf den neuesten Stand der Technik gebracht worden war. Danach wurde es immer schwieriger, Personal für die Sternwarte zu finden. Zuletzt arbeitete dort ein gewisser Doktor Karfunkel – Doktor Julius Karfunkel – mit einem kleinen Team von Mitarbeitern. Aber ich habe seit Jahren nichts mehr von ihnen gehört, gut möglich, dass sie längst wieder fort sind.«
    »Und was hat die Sternwarte mit der Bahnlinie zu tun?«, wollte Kyra wissen.
    »Die Bahnschienen wurden Mitte des 19. Jahrhunderts gelegt, um das Material für die Sternwarte in die Wälder zu schaffen. Auch hat man sich damals erhofft, dass Besucher aus ganz Europa dort hinkommen würden, um die Anlage zu bestaunen. Ihr dürft nicht vergessen, dass Giebelstein früher ein bekannter Erholungsort war, in den die Menschen von überall herreisten.«
    »Davon ist nicht viel übrig geblieben«, klagte Lisa und dachte wehmütig daran, wie schlecht das Hotel ihrer Eltern lief. Heutzutage kamen kaum noch Touristen nach Giebelstein.
    »Fuhren denn damals tatsächlich so viele Besucher zur Sternwarte, dass sich solch eine Verbindung lohnte?«, fragte Chris.
    Herr Fleck hob die Schultern. »Ich glaube nicht, dass es darüber hier im Archiv Unterlagen gibt – zumindest bin ich noch über keine gestolpert. Fest steht nur, dass im Jahr 1948 einer der Züge entgleiste, und zwar unter ziemlich mysteriösen Umständen.«
    »Wieso?«
    »Bei dem Unglück gab es eine Menge Tote. Einer der wenigen Überlebenden war der Lokführer. Er behauptete später, er habe riesenhafte Gestalten gesehen, die mit bloßen Händen die Gleise aus ihren Verankerungen rissen, mächtige Wesen mit zottigem Haar und Klauen so lang wie ein ganzer Mensch. Natürlich glaubte ihm niemand, obgleich festgestellt wurde, dass die Schienen tatsächlich zerstört worden waren. Man vermutete, dass ein Blindgänger aus dem Krieg explodiert war, kurz bevor der Zug die Stelle passiert hatte – der ganze Bahndamm war aufgewühlt und die Stahlgleise wie Strohhalme nach außen gebogen.« Der Archivar ließ seinen Blick nachdenklich von einem zum anderen wandern, ehe er fortfuhr: »Die Katastrophe jedenfalls war der Anfang vom Ende. Statt die Unglücksstelle wieder in Stand zu setzen, wurde der Zugverkehr eingestellt, und man begann, die Gleise abzubauen, um sie anderswo zu verwenden. Lediglich das letzte Stück blieb aus irgendwelchen Gründen erhalten – das ist die Strecke, die an Giebelstein vorbei bis zur Sternwarte führt. Wahrscheinlich ist den Verantwortlichen damals das Geld für den Abbau ausgegangen, und so vergaß man die restlichen Schienen einfach.«
    »Aber der Bahndamm führt doch am Wald vorüber und nicht hinein«, gab Lisa zu bedenken.
    »Das ist richtig. Und die Züge fuhren auch am Ort vorbei – der Bahnhof lag etwas weiter außerhalb. Die Schienen führten dann weiter zu einer der größeren Städte. Das andere Ende aber reichte genau bis zur Sternwarte.«
    »Und warum verläuft die Strecke nicht gradlinig in den Wald hinein?«, fragte Chris.
    »Das ist in der Tat das Ungewöhnliche. Es hat mit den Bodenverhältnissen in den Wäldern zu tun.« Herr Fleck griff nach der Papierrolle, öffnete sie und breitete sie über den Aufzeichnungen von Kyras Mutter aus. »Schaut her, dann werdet ihr sehen, was ich meine.«
    Die Karte war augenscheinlich sehr alt. Sie schien aus der Zeit zu stammen, in der die Bahnverbindung gebaut worden war, denn die Beschriftungen bestanden aus altertümlichen Buchstaben. Lisa, die ein Talent für derlei Dinge besaß, fiel es nicht ganz so schwer wie den anderen, sie zu entziffern, und so entdeckte sie nach kurzer Suche am unteren Kartenrand eine Jahreszahl: 1871.
    Der gesamte Papierbogen war mit einem Muster aus stilisierten Bäumen überzogen. Augenscheinlich handelte es sich um eine vollständige Kartografie der Wälder. Giebelstein selbst war darauf nicht eingezeichnet, es lag zu weit vom Waldrand entfernt.
    In der Mitte der Karte befand sich ein runder Punkt – die Sternwarte. Das Sonderbare aber war, dass die eingezeichneten Bahnschienen von diesem Punkt aus nicht etwa in einer geraden Linie nach außen führten. Ganz im Gegenteil – sie verliefen in einer perfekten Spirale, so exakt, dass die Zeichnung nahezu mathematisch
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