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Sieben Siegel 10 - Mondwanderer

Sieben Siegel 10 - Mondwanderer

Titel: Sieben Siegel 10 - Mondwanderer
Autoren: Kai Meyer
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erfahren.«
    »Hat diese ganze Aufregung etwas mit dem Nebel zu tun? Ich kann mich nicht erinnern, jemals eine solche Suppe hier in Giebelstein erlebt zu haben.«
    »Wissen wir nicht«, antwortete Lisa wahrheitsgemäß. »Wirklich nicht. Aber es könnte schon sein.«
    Kassandra musterte die beiden und vergaß darüber sogar, ihnen einen ihrer grässlichen Tees anzubieten. »Ihr achtet doch darauf, euch von allem Ärger fern zu halten, ja?« Sie schaute auf das Plakat in ihrer Hand. »Und von dieser … Schattenshow. Was immer das auch sein mag.«
    »Klar.«
    Die beiden schlüpften aus der Ladentür.
    »Tschüss, Frau Rabenson!«, rief Chris.
    »Bis dann«, rief Lisa.
    Kassandra blieb mit einem Kopfschütteln in der Tür stehen und blickte ihnen sorgenvoll hinterher. Ihre Hände zerknüllten langsam das Plakat.
    Lisa und Chris sprangen auf ihre Räder und schossen die Hauptstraße hinunter, ungeachtet des wallenden Nebels. Nirgends war ein Mensch zu sehen. Wer nicht ohnehin bei der Arbeit war, blieb bei diesem Wetter zu Hause, schlürfte Kaffee oder heiße Schokolade und mummelte sich auf dem Sofa in eine Decke. So gesehen bewirkte der Nebel etwas, das selbst die heftigsten Regenfälle nicht vermochten – er war den Leuten unheimlich und isolierte sie voneinander. Tante Kassandras Teeladen war bestimmt nicht das einzige Geschäft, das heute keine Kundschaft hatte.
    Vor dem Rathaus stellten Lisa und Chris ihre Räder in den Fahrradständer, huschten am Empfang vorbei und eilten die Treppe zum unterirdischen Stadtarchiv hinunter. In den Kellergewölben roch es muffig und ein wenig nach faulem Zahn, so als nagten Alter und Feuchtigkeit an den Fundamenten des Gemäuers.
    Auf ihr Klopfen hin ließ Herr Fleck sie ein. Er war sehr alt und hatte einen wirren, weißen Haarkranz, der wie ein Heiligenschein um seinen Kopf lag. Sein Blick war stechend, aber immer auch ein wenig amüsiert, wenn er die Freunde sah, so als wunderte er sich jedes Mal von neuem, weshalb wohl Teenager in ihrem Alter so viel Interesse an der Geschichte und dem finsteren Treiben im historischen Giebelstein zeigten. Dabei kannte er die Wahrheit natürlich längst; neben Tante Kassandra war er der einzige Erwachsene in Giebelstein, der über die Sieben Siegel Bescheid wusste. Ansonsten ahnte niemand etwas davon. Lisa hatte es nicht einmal Toby erzählt.
    Sie begrüßten Herrn Fleck freundlich und hielten Ausschau nach Kyra.
    »Sie sitzt unten im zweiten Kellergeschoss«, erklärte der Archivar. »Die Aufzeichnungen ihrer Mutter sind, vor allem in den frühen Kapiteln, in Mittelhochdeutsch geschrieben, deshalb muss sie immer wieder in Wörterbüchern und Lexika nachschlagen.« Er kicherte, so als bereitete ihm dieser Gedanke eine diebische Freude. »Nun, sie wird gewiss nicht dümmer davon. Seid ihr hier, um ihr zu helfen?«
    Lisa entging nicht, dass Chris erstaunlich schnell den Kopf schüttelte. »Eigentlich wollten wir Sie etwas fragen«, sagte er.
    »Um was geht’s denn?«
    Während Chris dem alten Mann in kurzen Zügen die Situation schilderte, schaute Lisa sich im Archiv um. Obwohl sie Herrn Fleck mochte, waren ihr die Räumlichkeiten nicht geheuer, erst recht nicht, seit der Archivar hier unten von den Geistersklaven des dämonischen Boralus attackiert worden war. Nahe der Tür stand ein antiker Schreibtisch, auf dem gelbstichige Bücher, uralte Schriftrollen und lose Dokumentenstapel aufgetürmt waren. Schmale Regalgänge führten tief in die unterirdischen Bücherhallen des Archivs, das sich in zwei Kelleretagen unter dem gesamten Marktplatz erstreckte. Es gab viel zu wenig Licht und so gut wie keine Möglichkeit zur Entlüftung. Der Geruch des alten Papiers war vermutlich seit Jahrhunderten derselbe. Überall schienen sich die Schatten zusammenzuballen wie Kokons in einem schwarzen Spinnennetz.
    Nachdem Chris geendet hatte, sagte Herr Fleck: »Kaum jemand weiß noch etwas über die alte Bahnlinie. Ich habe irgendwo Unterlagen darüber, aber ein wenig kann ich euch auch so erzählen. Ich möchte nur kurz ein paar Dinge nachschlagen.«
    »Wir schauen in der Zwischenzeit, was Kyra so treibt«, sagte Lisa und folgte Chris durch einen der schmalen Büchergänge zur einzigen Treppe, die hinab in die zweite Etage führte. Unterirdische Luftströme jammerten in der Ferne, so als befänden sie sich am Eingang eines endlosen Systems von Grotten.
    »Ich verstehe nicht, wie Kyra es hier so lange aushält«, flüsterte Lisa, als sie die enge Wendeltreppe
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