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Sieben Siegel 06 - Die Nacht der lebenden Scheuchen

Sieben Siegel 06 - Die Nacht der lebenden Scheuchen

Titel: Sieben Siegel 06 - Die Nacht der lebenden Scheuchen
Autoren: Kai Meyer
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bewegte. Nur der kühle, säuselnde Abendwind.

Köpfe mit Nägeln
    Es war bereits tiefe Nacht, als Kyra das leise Scheppern von Fahrrädern vernahm, die unten im Innenhof des Hauses an die Wand gelehnt wurden. Das mussten Lisa und Nils sein. Chris war schon vor ein paar Minuten eingetroffen, saß wippend auf Kyras Schreibtischstuhl und kaute nachdenklich an einem Bleistiftende.
    »Das sind die anderen«, flüsterte Kyra. »Komm mit!«
    Chris sprang auf und folgte ihr leise die Treppe des alten Fachwerkhauses hinunter.
    Wieder einmal fluchte Kyra im Stillen über die knirschenden Treppenstufen. Tante Kassandra schlief schon seit Stunden. Die Wanduhr unten im Flur zeigte zwanzig nach drei. Eine gute Zeit, wenn man niemandem auf der Straße begegnen wollte. Höchstens ein paar Katzen trieben sich jetzt noch dort draußen herum.
    »Da seid ihr ja«, flüsterte Kyra, als sie und Chris durch die Hintertür der Küche auf den Hof traten.
    Die beiden Geschwister warteten neben ihren Fahrrädern.
    Nils seufzte. »Unsere Eltern wollten und wollten nicht ins Bett gehen. Unser Vater hat das Fußballspiel im Fernsehen geguckt.«
    »Und dann mussten wir noch warten, bis sie eingeschlafen waren«, fügte Lisa hinzu. Sie schämte sich ein wenig vor Chris, der wieder mal viel pünktlicher gewesen war.
    »Macht nix«, meinte Kyra. »Um die Uhrzeit sind wenigstens die Straßen leer.«
    »Das sind sie hier in Giebelstein doch schon gleich nach Geschäftsschluss«, bemerkte Chris spitz. Sein Vater war bis vor kurzem Diplomat gewesen, und so hatte Chris viele Jahre in den größten Metropolen der Welt gelebt. Das Kleinstadtleben war noch immer neu und ungewohnt für ihn. Hin und wieder konnte er sich ein paar Seitenhiebe gegen das verschlafene Giebelstein und seine Bewohner nicht verkneifen.
    »Uns gefällt’s hier ganz gut«, erwiderte Nils betont.
    Zur Überraschung aller widersprach Chris nicht. »Mir auch«, meinte er nur. »Ehrlich, mittlerweile würde ich Giebelstein gegen keine Großstadt der Welt eintauschen.« Dabei schenkte er Kyra ein zaghaftes Lächeln. Sie tat, als hätte sie es nicht bemerkt. Hinter ihr gab sich Lisa alle Mühe, nicht wütend mit dem Fuß aufzustampfen.
    »Wenn ihr mit eurem Kinderkram fertig seid, können wir vielleicht von hier verschwinden«, murmelte Nils, dem das verliebte Getue der anderen auf die Nerven ging. Er kannte Kyra, seit sie kleine Kinder gewesen waren, und er konnte sich um nichts in der Welt vorstellen, dass man sich in sie verlieben könnte. Tatsächlich sah er sie überhaupt nicht wirklich als weibliches Wesen an. Kyra war seine beste Freundin, basta. Und Lisa, na ja, sie war eben seine Schwester. Welcher Junge könnte schon Interesse an ihr haben? Dabei wusste er nur zu genau, dass es in der Schule sehr wohl ein paar Jungs gab, die Lisa heimlich anhimmelten – aber das waren Spinner, fand er, die offenbar nichts Besseres zu tun hatten. Besseres wie zum Beispiel Monstermasken sammeln oder Gruselfilme gucken. Ja, das waren die Dinge, die wirklich wichtig waren im Leben.
    Die vier setzten sich zu Fuß in Bewegung. Durch die Toreinfahrt traten sie auf Giebelsteins gepflasterte Hauptstraße. Kyra hatte Recht gehabt: Weit und breit war kein Mensch zu sehen.
    Sie liefen durch das nördliche Stadttor hinaus ins Hügelland. Von hier aus würden sie zwanzig Minuten bis zur Kieselwiese brauchen.
    Als sie heute Abend nach Hause gekommen waren, hatten sie sich alle vier geschämt, weil sie einfach die Flucht ergriffen hatten. Vor einer Vogelscheuche noch dazu! Seit sie zu Siegelträgern geworden waren, hatten sie es mit den mörderischen Hexen des Arkanums zu tun gehabt, mit Storchendämonen, gefallenen Engeln und Bestien aus der Tiefe der Erde. Und jetzt sollten sie sich eingestehen, dass ihnen eine dämliche Vogelscheuche Angst eingejagt hatte? Der Gedanke kratzte an ihrem Stolz und war beileibe nichts, an das sie sich gerne erinnerten.
    Das Bequemste wäre gewesen, die Sache einfach zu vergessen. Dann aber fielen ihre Blicke wieder auf die sieben magischen Male auf ihren Unterarmen. Ihnen allen war klar, dass es vor dem Fluch der Siegel kein Entkommen gab. Wenn die Zeichen erst einmal erschienen waren, hatten die Freunde keine andere Wahl, als sich ihren Gegnern zu stellen. Ganz gleich, wo Kyra und die anderen sich auch versteckten, die Kreaturen der Finsternis würden sie ausfindig machen. Also konnten die vier ihren Feinden ebenso gut freiwillig gegenübertreten.
    So hatten sie also noch am
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