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Sie und Er Botschaften aus parallelen Universen

Sie und Er Botschaften aus parallelen Universen

Titel: Sie und Er Botschaften aus parallelen Universen
Autoren: Jürgen von der Lippe
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wissen – reift man nicht über Nacht, es ist eine Sache der Übung, des Vergleichs, man muss viel probieren, um irgendwann einmal bei seiner persönlichen Richtung anzukommen. Andererseits wurde ich aber – durch zahllose Kreuzberger Näch-te gestählt – auch nicht betrunken. Nach vier Stunden intensiven Zechens sagte mein Gönner: »So, jetzt haben wir für 3000 DM
    Rotwein getrunken, jetzt habe ich noch Lust auf ein schönes Bier.«
    Dann gibt es diese ersten Male, auf die man getrost verzichten könnte, wozu ich meine erste Prostatauntersuchung zähle, die aber noch gar nichts ist im Vergleich zur ersten Proktoskopie. Dazu rammt der Facharzt dem Opfer ein grundsolides Stahlrohr ins ver-dutzte Rektum, um einen tiefen Blick auf Anzahl, Größe und Zustand der dortselbst vermuteten Hämorrhoiden zu werfen. Als ich dieses Vergnügen zum ersten Mal hatte, wurde ich auch noch aufs Schönste einge-154
    stimmt durch den Anblick meines Vorgängers, wie er wachsbleich und halbtot von zwei Pflegern weggeschleppt wurde.
    Das einzig Schöne an solchen ersten Malen ist, dass man für den Rest seines Lebens was zu erzählen hat. In diese Kategorie gehören auch mein erster Autounfall, mein erster Flugzeugstörfall, mein erstes Kentern mit einem Segelboot, mein erstes Zugunglück, mein erster Sprung vom Dreier, vor dem mir die gesamte Klasse von unten ca. 30 Minuten lang gut zuredete, und vieles mehr, wie nicht zuletzt die erste Magenspiegelung, die ich damals völlig anders erlebte als heute, wo man sich mittels einer kleinen Spritze federleicht aus dem Hier und Jetzt entfernt.
    Nun sagen Sie vielleicht: »Hat denn dieser dicke lustige Mann nur Scheiße erlebt? Ist das sein Geheimnis, dass er mit seinen ko-mischen Liedern und Texten nur ein Leben sublimiert, das einem Tanz am offenen Grab gleicht?« Nun, da ist was dran. Aber wichtiger noch: Schlimmes Selbsterlebtes stimmt andere heiterer als schönes Selbsterlebtes.
    Das stimmt meist nur den Erzähler heiter, und das ist nun mal nicht Sinn der Sache. So wird es Sie sicher sehr freuen zu hören, dass mein erstes Sexerlebnis nicht reibungslos verlief. Ich würde jetzt zu gern Ihr Gesicht sehen, lieber Leser, wenn ich Ihnen sage, Ihnen, der Sie jetzt darauf warten, dass ich aus dem Bett gefallen bin oder mit dem Hintern in einem Ameisenhügel gesessen habe und erst fünfmal zu früh gekommen bin, bis es endlich klappte, wenn ich Ihnen also jetzt Folgendes sage: Wenn mein erster Sex rei-155
    bungslos verlaufen wäre, also ohne Reibung, hätte er doch keinen Spaß gemacht!
    Verstehen Sie? Wie? Das finden Sie blöd.
    O. k. der Kunde ist König. Als ich das erste Mal Sex hatte, hatte ich furchtbare Angst.
    Kein Wunder, ich war ja auch ganz allein.
    Zufrieden? Na also.

SIE Tanzen
    Es gibt, laut Gerhard Szezesny, »keine andere Tätigkeit, die soviel Spannung und Ag-gressivität abbauen kann wie die in Körper-bewegung umgesetzte Musik«. Das hört sich schön an, trifft aber bestimmt nicht auf pubertierende Teenager zu, die zur Tanzschule verdonnert werden. Rückblickend auf meine erste Tanzstunde würde ich sagen, dass Tanzen in dem Alter eher eine Hochspan-nung erzeugende Tätigkeit ist, bei der Unsi-cherheit in Bewegung umgesetzt wird. Mit einem gemischten Gefühlssalat aus Schiss und Entdeckerfreude, beides bezogen auf die eigene Erotik, stöckelte ich auf hohen Absätzen diesem Abenteuer entgegen. Als Schülerin eines Mädchengymnasiums war man jungstechnisch permanent unterzuckert.
    Der Tanzkurs war die erste Gelegenheit seit dem Konfirmandenunterricht, die Depots aufzufüllen.
    Doch schon beim Betreten der plüschigen Örtlichkeit wurde mir anders. Die Mädchen saßen links an der Wand wie die Hühner auf der Stange, die Jungen rechts, dazwischen gähnte ein Hektar abgenutztes Parkett. Diese Anordnung war mir aus unserem Heimat-156
    museum vertraut, wo links und rechts an den Wänden des Hauptganges Schaukästen mit aufgespießten Schmetterlingen hingen. Im Gegensatz zu mir machte es denen allerdings nichts mehr aus, angegiert und taxiert zu werden. Tapfer steuerte ich die einzigen freien Stühle ganz am Ende der Mädchen-reihe an. Das intensive Gefühl, wie ein nacktes Huhn im Schaufenster eines Fein-kosthändlers zu hängen, ging einher mit dem Wunsch, möglichst rasch aus der Gaf-ferzone zu gelangen. Ich beschleunigte meinen Schritt, was mir die interessante Erfahrung bescherte, dass glatte Ledersohlen auf poliertem Parkett dynamische Prozesse po-tenzieren, also
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