Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod im Albtal

Tod im Albtal

Titel: Tod im Albtal
Autoren: Eva Klingler
Vom Netzwerk:
Prolog
    »Haben Sie außer der Leiche etwas angefasst?«
    »Bestimmt nicht. Das war unangenehm genug. Wie sie aussah! Das T-Shirt ist wohl auch nicht mehr zu retten!«
    »Ihre Sorgen möchte ich haben!«
    Der Mann mir gegenüber stammte eindeutig nicht aus meinen Kreisen.
    Das allein wäre noch akzeptabel gewesen, denn unsere Kreise waren nun mal ziemlich eng gezogen. Aber er sah nicht mal aus wie ein solider deutscher Beamter.
    Schmal war er, beinahe schlaksig, mit langsamen, lässigen Bewegungen, und sein freches Gesicht mit den wachen grauen Augen und der spöttischen Miene erinnerte an das eines schlauen Fuchses. Im Ohr glitzerte keck ein Strasssteinchen.
    Dieses Strasssteinchen verriet ihn. Entweder war er schwul, oder er entstammte jener Schicht, mit der er beruflich zu tun hatte, nämlich der Unterschicht.
    Ich tippte auf Letzteres. Dafür besaß ich ein feines Gespür.
    Schon als Kind vermochte ich oben und unten instinktiv zu unterscheiden, wie mit einem eingebauten Sensor. Angeblich hatte ich bereits im Sandkasten nach den teuersten Designerförmchen verlangt und nur neben Arzt- und Anwaltskindern Sandkuchen gebacken.
    Dieses Gespür ließ mich um solche Leute wie den Mann vor mir auch heute noch einen weiten Bogen machen. Man stelle sich vor, ich hätte mein Dasein als Ehefrau eines Kleinverdieners fristen müssen.
    Von meiner neuen muschelfarbenen Chloe-Seidenbluse mit den handgenähten Biesen – als Stilmix toll zu Jeans, ich empfehle dazu ganz klassische Workers’ Levi’s, meine Damen – hätte ich in diesem Fall nur träumen und hätte sie nicht, dank meiner Barclay Card, Platin Edition, spontan mitnehmen können.
    Sein starker nordbadischer Dialekt war ein weiterer Minuspunkt für ihn.
    In den Zirkeln, in denen ich mich gesellschaftlich bewegte, war die geografische Herkunft nicht mehr zu erkennen. Könnten alle theoretisch Hannoveraner sein. Hannoveraner klangen immer fein, auch wenn sie nur die Bedienungsanleitung der Kaffeemaschine vorlasen.
    Sina aus dem Golfclub, die oben in Bad Waldbronn wohnte und mit dem örtlichen Apotheker verheiratet war (im gemütlichen Erholungsort Waldbronn, wohin sich rüstige Senioren aus Karlsruhe gerne zurückziehen, ist das gleichbedeutend mit dem Besitz einer Goldgrube), stammte zwar angeblich aus Bayern, aber das merkte man nicht. Ich hatte sie noch nie Weißwürste essen sehen, und anstatt Bierkrüge zu stemmen, schlürfte sie Champagner gläserweise.
    Elena Gontard, vor langer Zeit einmal Mitarbeiterin des berühmten Ballettchoreografen John Cranko in Stuttgart und jetzt Chefchoreografin am Karlsruher Staatstheater, soll zwar – so die Kleinstadtlegende – in Bad Cannstatt zur Welt gekommen sein, aber bei ihr schwang immer ein undefinierbarer Hauch Frankreich mit. Wir waren allesamt stolz, dass sie neben ihrer kleinen Wohnung in der Nähe des Theaters eine Maisonette in Ettlingenweier bewohnte, und dafür überschütteten wir sie mit Einladungen und Auszeichnungen. Elena war eine nationale und internationale Berühmtheit. Leuten vom Ballett stand ein bisschen Frankreich immer gut, vielleicht sogar gemischt mit einem Schuss (aber bitte nicht zu viel!) Osteuropa. Außerdem hatte sie tatsächlich französische Vorfahren, irgendwelche Tanten, wie sie mir mal erzählt hat. Die sprach sie mit »Sie« und »ma tante« an. Und es gab noch Cousinen, die in Paris lebten. Ich meinte, die Adresse »Avenue Foch« gehört zu haben.
    Auf dieses genealogische Insiderwissen konnte ich stolz sein, denn Elena war noch eine Spur elitärer als ich: »Die Leute hier kennen meine Inszenierungen, mehr brauchen sie nicht zu wissen. Sie sollen kräftig fürs Ballett spenden und viele Abonnements nehmen. Der Rest ist Privatsache.«
    Elena kaufte fast alles in Straßburg ein und war natürlich immer geschmackvoll gekleidet. Sie ließ keinen Zweifel daran, dass sie auf meine Dienste als Stilberaterin verzichten konnte. »Swentja,   excuse-moi , aber ich brauche wirklich keinen, der mir sagt, ob mir ein schwarzes Etuikleid steht oder nicht. Und ich hasse es, wenn jemand ungeduldig vor meiner Kabine steht und fragt, ob ich so weit bin.«
    »Ich hasse es auch!«, hatte ich zurückgegeben. »Deshalb lasse ich meine Kundschaft zuerst auch immer allein anprobieren. Danach sehe ich mir an, was sie sich aussuchen würden, und hänge es stillschweigend wieder zurück. Das ist der Moment, in dem meine Arbeit beginnt. Denn sie haben bisher immer falsch eingekauft, und sie wollen es wieder
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher