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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hinunter. Am Dorfplatz blieb er stehen, atmete noch einmal tief, wandte sich dann der kleinen hölzernen Kirche zu, stieß die Tür auf und verschwand hinter ihr.
    Kyrill Vadimowitsch Schagin, der Pope, saß zwischen der Ikonostase und dem Altar des heiligen Michael und putzte an einem kupfernen Kessel. Als Masuk in die Kirche trat, blickte er verwundert hoch, denn die außer am Sonntag die Kirche aufsuchten, waren fast nur alte Weiblein, die demütig niederknieten und tonlos beteten.
    »Du hast dich verirrt, Lew Andrejewitsch«, empfing Schagin den seltenen Gast und legte den Kupferkessel beiseite. »Die Kneipe liegt gegenüber.«
    »Ich muß dich sprechen, Väterchen«, erwiderte Masuk mit ruhiger Stimme. »Genauer gesagt: Ich will beichten.«
    »Jetzt?«
    »Es steht geschrieben: Kommet zu mir, jederzeit, wenn ihr voll Sorgen und beladen seid … So erzählst du es uns immer, Kyrill Vadimowitsch.« Masuk blickte sich nach allen Seiten um. »Sind wir allein?«
    »Ganz allein. Nur Gott schaut uns zu.«
    »Wo ist Wassja?«
    Wassja war in Lebedewka der Mesner und Totengräber in einem. Er wohnte in einem kleinen Anbau hinter der Kirche _ ein Pferch, angeklebt an das Haus des Popen. Ein verwachsenes Männchen war er, mit einem viel zu großen Kopf, aber er besaß eine helle, schöne Stimme, machte bei den feierlichen Messen den Vorsänger und hielt als Totengräber den Friedhof lobenswert sauber. Wenn er nicht sang, sprach er wenig, und wenn man ihn fragte, wie es ihm gehe, antwortete er immer nur: »Das Leben ist wie Lehm, es klebt einem an den Füßen …«
    »Wassja putzt gerade das Grab von Babajew, er stört uns nicht.« Väterchen Schagin erhob sich zu voller Größe, fast einen Meter und neunzig war er, sein Bart reichte bis zum Gürtel, ein Wasserfall aus schwarzen, grau durchsetzten Haaren – ihr habt's erfaßt, Genossen: ein Pope wie aus einem Bilderbuch aus ferner, ferner Zeit.
    »Kann ich die Kirchentür schließen?« fragte Masuk.
    »Warum?«
    »Ich muß mit dir allein sein. Die alten Weiber sollen uns nicht stören. Ist das möglich?«
    »Schließ sie ab.« Schagin kam die zwei Stufen von der Ikonostase herab und wartete, bis Masuk die Kirchentür verriegelt hatte. »Welch eine Vorsicht! Was ist denn so geheim in deinem Leben, Lew Andrejewitsch?«
    Masuk senkte den Kopf, fiel mit einem dumpfen Laut auf die Knie und preßte die Hände gegen das Herz. Durch seinen kräftigen Körper lief ein Zittern.
    »Ich will einen Menschen töten«, sagte er, und sein Kopf sank noch tiefer zur Erde. »Ich muß einen Menschen töten …«
    Darauf war es so still in der Kirche, daß man nur Masuks stoßweisen Atem vernahm. Selbst das Knarren im hölzernen Kirchendach hörte auf einmal auf. Und in diese Stille hinein erhob sich Schagins Stimme:
    »Und damit kommst du zu Gott …?!«
    Die Sprengung des Dammes war die bisher größte Aktion der noch unbekannten Sabotagegruppen zwischen Tjumen und Tobolsk. Abgesehen von den höllischen Stahlsplitterbomben, die man mit den harmlosesten Umkleidungen tarnte, waren die Aktivitäten der Saboteure nur kleine Nadelstiche gewesen. Sie taten weh, aber sie hinderten kaum den Fortgang der Vorbereitungen für den Bau der Jahrhunderte, den Sibir-Aral-Kanal. Die Vernichtung des Dammes aber war nun ein wirklicher Faustschlag; die Arbeit von Monaten war zu einer Erdwolke am Himmel geworden.
    In der Bauleitung im Barackendorf, drei Werst vom Damm entfernt, schrillten die Alarmklingeln genau in dem Augenblick, als Boris Igorowitsch Schemjakin eine Tasse mit heißem Tee an den Mund führte, um damit sein Frühstück zu beginnen.
    Olga, seine Frau, und Walja, seine Tochter, saßen ihm gegenüber und zogen erschrocken die Schultern hoch. Der grelle Ton war ihnen nicht unbekannt. Immer, wenn die Klingeln rappelten, bekam Schemjakin eine Falte mehr im Gesicht, alterte er sichtlich und wurden seine Lippen schmäler und blutleerer. Einmal mußte der Tag kommen, wo er tot vom Stuhl fiel – so wenigstens klagte es Olga Walerinowna allen, mit denen sie sprechen konnte.
    Schemjakin setzte die Teetasse hart auf den Tisch zurück und sprang auf. Der Alarm verstummte, dafür klingelte jetzt das Telefon.
    Mit weiten Augen verfolgten Olga und Walja, wie er den Hörer abnahm, stumm das Gespräch entgegennahm und dann langsam den Hörer zurück auf die Gabel legte.
    »Der Damm«, sagte er mit einer Stimme, als wenn Rost auf ihr läge. »Nun haben sie den Damm gesprengt!«
    Boris Igorowitsch Schemjakin war
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