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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette
Autoren: Heinz G. Konsalik
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abholen wollen. Angst und Ratlosigkeit waren in ihrem Blick, als sie sich, mit Reif von ihrem Atem überzogen, auf einen Stuhl fallen ließ.
    »Nirgends ist er«, sagte sie. »Auch die Hunde sind nicht los. Nur ein Funkgerät liegt auf seinem Tisch.«
    »Was liegt auf seinem Tisch?« fragte Schemjakin. Sein Kopf war hochgezuckt; die Suppe, die er gerade im Mund hatte, spuckte er fast auf den Teller zurück.
    »Ein Funkgerät …«
    »O Himmel, das muß ich sehen!«
    Schemjakin sprang auf, warf seinen Pelz über und rannte hinaus. Nach wenigen Minuten wußte er, wer an seinem Tisch gesessen hatte, wer seine Tochter liebte, wer Jugorow war. Mit einem tiefen Ächzen setzte er sich auf Jugorows Bett, und der Gedanke, daß darin seine Tochter und Jugorow geschlafen hatten wie Mann und Frau, erzeugte noch mal einen Seufzer.
    »Was hast du, Vater?« fragte Walja, die ihm nachgekommen war, ahnungslos und besorgt. »Was ist mit dem Funkgerät? Weißt du, wo Igorenka ist?«
    »Setz dich hin, Töchterchen, setz dich neben mich«, sagte Schemjakin. Es fiel ihm schwer, jetzt väterlich zu trösten. Und als sich Walja neben ihn gesetzt hatte, auf das Bett, das ein Stück ihres kleinen Paradieses war, legte er den Arm um sie und hielt sie ganz fest. »Waljaschka, mein Mädchen, mein kleines Mädchen … Jugorow ist weg … und er kommt nie wieder …«
    Sie starrte ihren Vater an, schüttelte wild den Kopf und sagte mit weiten Augen:
    »Väterchen, was sagst du da? Gleich muß er kommen. Irgendwie verspätet hat er sich.«
    »Er kommt nicht mehr. Nie mehr, Walja …«
    »Väterchen … er …« Sie sah in seine Augen, erkannte in ihnen die Wahrheit und begriff sie doch nicht. Was heißt, er kommt nie wieder? Das kann nicht sein. Wie kann er leben ohne mich, wie kann ich leben ohne ihn? Die Welt besteht doch noch, und solange sie besteht und solange Walja und Igor leben, gibt es kein Weggehen zwischen uns. Väterchen, was sagst du denn da? Wir lieben uns …
    »Bleib sitzen, Waljaschka«, sagte Schemjakin heiser vor Leid. »Halt dich fest an mir. Und wenn du schreien willst, dann schrei; dein Vater ist bei dir, dein Vater wird dir helfen, Mamuschka wird dir helfen … vorbei wird es gehen … alles geht vorbei, das Leben deckt alles einmal zu, Töchterchen … Igor Michailowitsch war der ›Spezialist‹!«
    Mit einem wilden Ruck riß sich Walja los. Zur Tür stürzte sie, stürzte vor das Haus, hinaus in die eisige Kälte, lief über den knirschenden Schnee, ohne Mantel, ohne Kopftuch, ohne Handschuhe … lief und lief die Straße hinunter und schrie, die Hände vor den dampfenden Mund gelegt:
    »Igor … Igor … Igor … Igor …!«
    Schemjakin fing sie ein wie ein gejagtes Tier, sie biß und kratzte, und hieb mit den Fäusten auf ihn ein, und immer noch schrie sie: »Igor … Igor … Igor!« Und dann, verwehend wie ihre letzte Kraft, im Hinsinken, im gnädigen Vergessen: »Nimm mich mit … Igor … bitte nimm mich mit …«
    Weinend trug Schemjakin sein Töchterchen nach Hause, und als er ins Zimmer kam, waren an seinen Augen die Tränen gefroren. Zwei Tage später fand man den deutschen Kübelwagen an einer Fabrikmauer in Tjumen.
    Von Jugorow aber keine Spur … unbekannt, wie er gekommen war, verschwand er wieder im Unbekannten.
    Wer war er gewesen? Wirklich Jugorow … oder Jack Burton … oder Charles Trière … oder Michael Burgner … oder James McHindley … oder … oder … oder …
    Milliarden Namen gibt es auf der Welt … einer gehört zu dem Spezialisten, und diesen Namen kennt nur er.
    Am Tage, an dem das Projekt des Sib-Aral-Kanals ins Jahr 2000 verschoben wurde und wohl nie wieder auftauchen würde, rief General Kulpakow vom KGB seinen Freund Tjunin von der GRU an.
    »Ein Windei, mein lieber Anatoli Borisowitsch«, sagte Kulpakow fröhlich. Er trank wieder seinen geliebten russischen Kognak. »Aber damit müssen wir leben. Langweilig wär's doch ohne Eier, haha! Ich danke dir für deine Mühe … sind deine kleinen Helden schon zurück?«
    »Ja –«, antwortete Tjunin kurz.
    »Ein Glück, daß es da keine Metzelei gegeben hat … wäre alles sinnlos gewesen.«
    »Ja, völlig sinnlos.«
    »Was hast du vor mit deinen beiden Musterknaben? Setzt du sie woanders ein?«
    »Sie sind schon in einem anderen Land, Valentin Valentinowitsch.«
    »Du arbeitest schnell, alter Junge. Darf man wissen, wohin sie gefahren sind?«
    »Aber, mein lieber Freund, wie kannst du so fragen!« Tjunin schluckte einmal und nahm seinen
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