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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette
Autoren: Heinz G. Konsalik
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unausweichlich, daß alle großen Dinge seines Lebens für Boris Jakowlowitsch eine runde Uhrzahl haben mußten. Er glaubte daran, ein Mysterium wurde es für ihn; erst recht, als er viel später, nach dem Krieg, von Kameraden hörte, daß der Sturm auf die faschistischen Stellungen kurz vor zwei Uhr nachts angelaufen war und sein Vater Jakow Akifowitsch Minuten später seinen tödlichen Schuß erhielt. Es konnte also sein, daß es genau um zwei Uhr nachts geschehen war.
    Nun lagen sie zu dritt in einer Senke hinter den Weidenbüschen, hatten einen Damm in die nasse Morgenluft gesprengt und gönnten sich, auf dem Rücken liegend und in die bläulich matte Dämmerung blickend, ein paar Minuten tiefen Atemholens.
    Jetzt lief der Alarm im vier Werst entfernten Baulager Nowo Gorodjina an, einem Barackendorf, das diesen neuen Namen bekommen hatte, weil der leitende Ingenieur Schemjakin zufällig in Grodjina, in der Ukraine, geboren war. Ein ziemlich sinnloser Alarm, denn was konnte man in Nowo Gorodjina schon tun? Wie immer, so würde es auch jetzt kommen: Ein paar Wagen fuhren zur Unglücksstelle, man stand herum, stellte den Schaden fest und diskutierte darüber, schrieb später dann einen Bericht an die Zentralbaustellenleitung in Tobolsk, erwartete von dort den Hubschrauber mit dem Objektleiter, dem fetten Koskajan, sowie drei weitere Militärhubschrauber mit dreißig Rotarmisten, die völlig sinnlos das Gebiet des Attentats absperrten, als hielten sich die unsichtbaren Bombenleger gemütlich plaudernd an der Sprengstelle auf.
    »Wir sollten nun doch gehen«, sagte Masuk und rutschte etwas tiefer in die Senkung, setzte sich und rieb sich die erdverschmutzten Hände. Er war ein kräftiger Kerl Anfang der Fünfzig. Sein Gesicht ließ er von einem schwarzen Bart überwuchern, in dem kein einziges graues Haar war, wie er immer stolz betonte – und woher kommt das? Von den Weibern! Weiberchen halten frisch und gesund; vor allem dann, wenn man es mit den jungen treibt. Da bleibt man selbst noch jung. Mithalten muß man ja, Genossen, und das ist so um die Fünfzig rum kein leichter Dienst mehr. Also: Masuk war ein Bursche wie aus Granit gehauen und wurde als der Führer der örtlichen Kampfgruppe anerkannt.
    Von Beruf war er Schmied. Kein aussterbender Beruf, o nein, Freunde, da irrt man sich! Wenn es auch kein modernes Rußland gäbe ohne die Millionen Traktoren – auf ein Pferdchen und ihre großrädrigen Wägelchen, auf Schlitten und gute, feste Zugpflüge kann man trotz aller Technik nicht verzichten in diesem unendlich weiten Land, wo es oft im Sommer fünfunddreißig Grad Hitze und im Winter vierzig Grad Frost gibt. Wo nur im europäischen Teil der Boden auftaut, aber jenseits des Urals, im sibirischen Land, fast siebzig Prozent aus Dauerfrostboden bestehen; auch im Sommer, wenn Tundra und Taiga blühen und Sibirien so schön ist, daß man beten könnte: Herr da oben, wir danken dir. Gesegnet hast du uns.
    Wie wichtig ist da ein Pferdchen. Überall kommt man mit ihm hin, ist schnell und wendig mit ihm, Gras, Klee und Disteln frißt es, säuft aus den vielen schmalen Bächen und den Tausenden kleinen Seen und im Winter ist es zufrieden mit billigem Heu und altem Stroh, aber die Schlitten zieht es durch jeden Schnee, daß es eine Freude ist, juchhe!
    Masuk hatte gut zu tun in Lebedewka, ein geachteter Mann war er; seine Bandeisen um die Räder hielten länger als anderswo; seine Hufeisen waren wahre Kunstwerke, fast zu schade, um sie unter die Hornklötze der Gäule zu schlagen – aber alles übertraf er mit seiner selbstgebastelten Bombe, einem wirklichen Höllending von immer wechselnder Gestalt. Natürlich hatte er seine Erfindung nicht nach Moskau gemeldet, um damit die Stärke der Roten Armee zu erhöhen, denn – wie wir gleich begreifen werden – eignete sich Masuks geniale Bombe nur für Terrorzwecke.
    Ein schlichter Kasten war's, gefüllt mit höllisch spitzen Eisensplittern. Mal sah er aus wie ein verlorenes Köfferchen, täuschend ähnlich in Form und Farbe und mit richtigen Schlössern, mal glich er einem Benzinkanister oder einem Werkzeugkasten oder einem Farbeimer oder – ein Glanzstück von Lew Andrejewitsch – einem alten Radio. Alles verlockende Dinge, wenn man sie findet, sie so herrenlos daliegen sieht und sich denkt: Das könnte man gebrauchen. Es ist im Sinne des Aufbauplanes, nichts herumliegen und verderben zu lassen.
    Erstaunt, allerdings meist nur einen Sekundenbruchteil lang, war man aber,
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