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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hindurch, ohne Pfad, bis man die schmale Straße erreichte, die von Sawodorosk bis Lesnoj reichte und dort in die breitere Straße nach Tobolsk mündete.
    Sie ritten langsam, ließen sich von den Gäulchen mehr tragen, als daß sie den Weg bestimmten, und stießen fünf Werst vor Lebedewka auf ihre holprige Straße. Mittag war es nun, die Sonne hatte Lücken im Himmel gefunden und strahlte noch einmal Wärme über das Land. Das Laub der für dieses Jahr sterbenden Bäume leuchtete vom hellen Gelb bis zum tiefen Rot, die Bäche waren wie mit Silber gefüllt, und über den Boden krochen die Büsche der Kronsbeeren, Schellbeeren und Moosbeeren – für den Winter, mit Zucker kandiert, ein Segen Gottes.
    Mit einem Ruck hielt Masuk sein Pferd an.
    »Das alles soll später nicht mehr sein«, sagte er dumpf. »Schiffe sollen hier fahren, und an den Ufern siedeln sich Industrien an. Städte werden an den Ufern des Kanals gebaut werden, vertreiben wird man uns von unserem Land, und wir sollen dastehen, in die Hände klatschen und ein Lied vom Fortschritt singen. Brüder, sie wollen uns umbringen und wir sollen auch noch stolz darauf sein. Das sag ich euch: Zerhacken laß ich mich in meinem Haus, aber ich gebe es nicht her, solange ich lebe.«
    Sie ritten stumm weiter und erreichten die ersten aus Holz gezimmerten kleinen Speicher, die an den Rändern der Wege zu den einzelnen Feldern standen. Hier bewahrte man die Geräte auf und schichtete das Grünfutter für die Ziegen und Kaninchen in den Ställen hinter den Häusern.
    Unter einer Gruppe von zehn Birken, die man im Dorf die ›Zehn Sänger‹ nannte, weil der Wind, wenn er sich in ihnen fing, richtige Töne von sich gab, sahen sie eine Frauengestalt sitzen. Ihr Kopftuch hatte sie tief ins Gesicht gezogen, ein Rock aus bunt bedruckter Baumwolle – kleine rot-weiß-blaue Punkte bildeten ein Muster – reichte ihr gerade bis an die Knie, und die hellrote Bluse, die sie trug, war zwar weit genug, ließ aber deutlich ihre hohen, großen Brüste ahnen. Das Geklapper der Hufe auf der Straße schien für sie ein Signal zu sein: sie straffte sich, lehnte sich gegen einen Birkenstamm und sah den drei Reitern entgegen.
    »Nun sieh mal an, wer sitzt denn da?« sagte Goldanski spöttisch. »Wartet wohl auf dich, Lew Andrejewitsch?«
    »Halt's Maul, Samson Lukanowitsch!« Masuks Gesicht verfinsterte sich. Er zog die Zügel an seine breite Brust und stemmte die Beine in die Steigbügel. »Nichts hast du gesehen, verstehst du?«
    »Das Land ist leer. Wo soll denn jemand sein?« sagte Goldanski mit einem Glucksen in der Stimme.
    Sie hatten die ›Zehn Sänger‹ erreicht, und Goldanski wollte sein Pferd anhalten, aber Rudenko gab ihm einen Stoß in die Seite.
    »Nicht unsere Sache ist das«, warf er Goldanski in gedämpftem Tonfall zu. »Halt dich nicht auf. Du hast eine Frau und eine Tochter – die warten auf dich und zittern seit Stunden um dich.«
    Masuk blieb stumm, drehte sein Pferd zur Seite und ritt langsam auf die Birkengruppe zu. Selbst als er vor der Wartenden stand, blieb er im Sattel sitzen und starrte mit bösem Blick auf sie herunter. Sie hatte den Kopf in den Nacken geworfen, das Tuch abgerissen und ließ ihr blondes Haar in der Sonne leuchten. Jetzt sah man, wie verteufelt schön sie war; ein junges Weibchen, nicht älter als dreiundzwanzig Jahre, die langen Beine in einem engen, kurzen, erst weit über dem Knie endenden Rock darbietend; und wenn sie vor der Sonne stand, war sie wie durchleuchtet und kein Geheimnis war's mehr, daß sie ihre Bluse auf dem nackten Körper trug.
    »Soja, was willst du hier?« fragte Masuk unwirsch. »Was soll das?«
    »Gewartet hab ich auf dich.« Sie trat an das Pferd heran, legte die Hand auf den Sattelknopf. Dabei berührte sie Masuks Schenkel, ganz leicht nur, wie ein Windhauch, aber Masuk spürte es bis in die Fußspitze und die Enden seiner Kopfhaare. »Seit Stunden warte ich.«
    »Warum? Zum Satan, warum?« Er ließ das Pferd zurücktänzeln, um aus der Reichweite ihres Armes zu kommen. Ein Höllenweib, dachte er. Wahrhaftig, wer sie ansieht, verliert seinen eigenen Willen, und wenn sie einen berührt, zerfällt die Welt zu glühender Asche. Nichts gibt es mehr als ihren glatten Leib, ihren zischenden Atem, die Nägel ihrer Finger, die sich ins Fleisch eingraben, und dann den seligen Tod des Zerberstens.
    Soja Trofimowa gehörte zu den armen Familien im Dorf. Am Rande der Siedlung, ziemlich weit ab vom Dorf in den Sümpfen stand in
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