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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs
Autoren: Nickolas Butler
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in die Wanne floss, legte den Kopf in meine Hände und lauschte den kleinen, kindischen Geräuschen, die Lee bei jeder Bewegung von sich gab.
    »Henry?«, fragte er.
    Mein Alkoholrausch war bereits im Abklingen und sogar das Hämmern in meinem Kopf ließ allmählich nach. Aber ich war müde. Unendlich müde. Alles, was ich jetztwollte, war, in mein eigenes Bett zu kriechen. Mich an Beth anzukuscheln. Ich war an einem Punkt angekommen, an dem ich Lelands Boot einfach nur noch von meinem Ufer wegstoßen wollte, weit, weit hinaus in die neblige Brandung. »Ja?«, antwortete ich.
    »Würdest du mal bitte in mein Medizinschränkchen sehen? Schau doch mal, ob ich noch ein paar Vicodintabletten habe. Oder Codein? Ich brauch dringend irgendetwas.«
    »Klar«, sagte ich. »Mach ich.«
    Ich ging zu dem Schränkchen, schüttelte lauter leere orangefarbene Medikamentenröhrchen und drehte andere in meiner Hand, um die Beschriftung zu lesen. Und da war sie tatsächlich – eine Packung Vicodin, erst vor kurzem gekauft. Es waren noch zwölf Tabletten übrig. Ich gab Lee zwei davon, drehte dann den Wasserhahn über dem Becken auf, füllte meine Handfläche mit kaltem Wasser und schluckte selbst gleich auch noch zwei.
    »Meinst du, das wird dir reichen?«, fragte ich.
    »Vielleicht noch’n bisschen Whiskey«, antwortete er. »Irgendwas, was schnell wirkt, was Hartes. Was mir beim Runterschlucken hilft. Ich hab das Gefühl, als wär ich total ausgetrocknet.«
    Das Wasser in der Badewanne färbte sich langsam rosa. Ich starrte auf die Wunde in Lees Oberschenkel, auf das Loch, das die Kugel dort hinterlassen hatte und aus dem das Blut in dünnen Fäden ins Wasser sickerte. Die Kugel selbst musste sich noch irgendwo im Bein befinden. Ich ging in die Küche, fand den Whiskey, nahm einen Schluck aus der Flasche und goss ihm dann ein Glas davon ein. Auf meinem Weg zurück zum Bad kam ich durch Lees Esszimmer und hätte beinahe das Gemälde nicht bemerkt, das über seiner Anrichte hing. Es war von mir – das Bildaus dem Wohltätigkeitsladen. Ich blieb fassungslos davor stehen.
    »Henry!«, rief er aus dem Badezimmer. Seine Stimme klang verärgert, um nicht zu sagen verzweifelt.
    »Ja!«
    »Ich krepier hier grade!«
    »Halt mal den Rand. Ich komm ja schon.«
    Als ich das Bad betrat, krümmte und wand er sich in der Badewanne und hatte die Augen vor Schmerzen zusammengekniffen. Er trommelte mit den Fäusten gegen die Wand.
    »Da!«, sagte ich und hielt ihm das Glas Whiskey hin.
    »Danke«, sagte er und trank es in einem Zug aus. Dann schloss er die Augen und ballte wieder die Fäuste.
    Wir saßen lange zusammen im Bad und dämmerten zwischendurch immer wieder ein – Lee blutend in der Badewanne und ich auf dem Toilettensitz. Irgendwann stand ich auf, drehte den Wasserhahn zu und schaute auf meinen Freund hinunter, wie er dort in der Wanne lag und blutete. Seine Arme und sein Hals waren tiefbraun gebrannt, während der Rest von ihm so weiß war wie das Porzellan, auf dem er lag. Ich sah die Tausende und Abertausende von Härchen an seinem Körper, die sanft im Badewasser hinund herschwankten wie Seetang.
    »Du hast da ein neues Bild an der Wand«, sagte ich beiläufig.
    »Ja. Hab’s im Saint Vincent gekauft, stell dir vor.« Er öffnete ein Auge und schielte zu mir hoch. »Warum?«
    »Es ist potthässlich.«
    »Ich mag es.«
    »Warum?«
    Er zuckte mit den Schultern und schloss das Auge wieder. Dann schwiegen wir erneut für eine Weile.
    »Henry, ich muss dir was über Beth und mich sagen.«
    Ich zuckte zusammen und schloss die Augen, in Erwartung dessen, was er jetzt sagen würde.
    »Es war nicht so, wie du denkst, Hank. Ach, Scheiße, ich weiß nicht, was du überhaupt darüber denkst. Aber so war es jedenfalls nicht. Und was ich dir sagen will, das fällt mir nicht leicht, aber es ist die Wahrheit, okay? Also sag ich’s dir jetzt einfach und dann weißt du’s und wir können getrennte Wege gehen, wenn du das willst.«
    Er hatte ganz offensichtlich große Schmerzen und schaute mit gebleckten Zähnen zu mir hoch, während ich dort auf der Toilette saß. Der Duschvorhang war zur Seite gezogen und in der Luft zwischen uns hing wie ein Schleier der kondensierte Wasserdampf, in dem sich auch ein paar seiner Blutmoleküle befinden mussten.
    »Hör zu, wir haben das, was wir zwei früher einmal waren, schon lange hinter uns gelassen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendwas, was du jetzt noch sagst, die Sache besser oder schlimmer machen
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