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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs
Autoren: Nickolas Butler
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er zu mir.
    Seine Stimme klang rauh und brüchig.
    »Ach ja?«
    »Setz schon mal Wasser auf.«
    »Okay.«
    Lee setzte die Füße auf die Bodendielen, stützte sich mit
    einer Hand am Bett ab und stand auf. Währenddessen
    kratzte er die schorfige Wunde, bis sie wieder zu bluten
    begann.
    »Brauchst du Hilfe?«, fragte ich.
    Er schüttelte den Kopf. »Nee. Sorg einfach nur für kochendes Wasser. Erst machen wir uns Frühstück und dann
    holen wir dieses Scheißding aus meinem Bein. Wir ziehen ’ne schicke kleine OP ab, alter Kumpel. Du und ich.«
    Ich folgte ihm, wie er ins Badezimmer humpelte, allein
    schon aus Neugier. Aber ich wollte auch nicht, dass er ohnmächtig wurde und sich an den Kacheln den Kopf aufschlug. Während er unter der Dusche stand, seifte er sichdie Haare auf seiner Brust ein, dann die auf dem Kopf und unter den Achseln, legte den Kopf zurück, um das aus dem Duschkopf brausende Wasser zu trinken, und hob nacheinander die Füße, um auch sie zu waschen. Und als er mit all dem fertig war, untersuchte er seine Wunde, schrubbte und wusch sie sorgfältig, nahm sich dann einen Rasierer und rasierte alle Haare um sie herum ab. Ab und zu schüttelte er den Rasierer, um den Schaum abzuklopfen, und zog dann mit den Fingern die langen brauen Haare aus dem Gerät. Der erste Rasierer wurde schnell stumpf und er holte einen zweiten aus dem Medizinschränkchen. Mich schien er überhaupt nicht zu bemerken. Er schluckte noch schnell zwei Tabletten aus dem orangefarbenen Vicodinröhrchen, dann humpelte er zurück unter die Dusche, öffnete weit den Mund und schluckte das Wasser hinunter.
    »Verdammte Scheiße«, fluchte er und spuckte das Duschwasser wieder aus. »Gottverdammte Scheiße.«
    Als er mit dem Rasieren fertig war, knüllte er das abrasierte Haar zu einer Kugel zusammen und warf sie in die Toilette. Es sah aus wie ein nasses Vogelnest. Er begann, sich abzutrocknen, und ich benutzte diesen Moment, um nach unten zu schleichen, ein wenig Wasser aufzusetzen und das Frühstück vorzubereiten.
    »Was gibt’s zu essen?«, fragte er, als er in die Küche gehumpelt kam und sich währenddessen ein T-Shirt über den Kopf zog. »Ich hab wahnsinnigen Hunger.«
    »Ich mach uns Rührei und Speck, ein bisschen Toast und ein paar Würstchen. Der Kaffee ist auch schon fertig. Und auf dem Tisch steht Orangensaft«, sagte ich und schüttelte den Kopf über ihn. Lee goss sich eine Tasse Kaffee ein, blies in den heißen Dampf, brummte irgendetwas vor sich hin und schaute dann aus dem Fenster. Ich stand am Herd,rührte die Eier in der Pfanne und drehte die brutzelnden Speckstreifen um.
    »Vielleicht war es ja eine schlechte Idee, diese Mühle zu kaufen«, sagte er. »Was denkst du?«
    »Ach, ich weiß auch nicht, Lee. Du sprühst in letzter Zeit nur so vor tollen Ideen.«
    »Vielleicht sollte ich ja einfach nach Los Angeles ziehen, mich den ganzen Tag an den Pool knallen und ab und zu in der Playboy-Villa vorbeischauen.«
    »Du könntest ein wenig Sonne vertragen. Oder, na ja, sie vielleicht auch nur etwas besser auf dem Körper verteilen.« Die Ärmel seines T-Shirts waren gerade kurz genug, dass man über dem ansonsten gebräunten und mit Tattoos übersäten Arm einen Zentimeter kreideweißer Haut sehen konnte.
    Lee nickte, schlurfte dann zur Kellertür und stieg die Treppen hinunter. Ich konnte ihn hören, wie er dort unten lauter Kaffeedosen voller alter Nägel und Schrauben schüttelte und mehrere Glasgefäße mit Werkzeugen durchwühlte. Einige Minuten später schleppte er sich wieder die Kellertreppe hinauf, kam zurück in die Küche und warf eine kleine Nadelzange in den Topf mit Wasser. Danach stellte er sich ans Küchenfenster und sah zu dem Bach hinunter, an dem wir früher immer gesessen und geredet hatten, damals, als alles noch ganz normal gewesen war und nichts unsere Freundschaft getrübt hatte. Und dann sah er zu mir herüber und auf den Herd, wo das Wasser in dem Topf die ersten Blasen zu werfen begann und der Speck schwarz geworden war und angefangen hatte zu rauchen. Die Eier waren auch nicht mehr zu retten. Wir starrten uns an. Keiner von uns wusste, wie es jetzt weitergehen sollte.Ich stand vor dem alten Schulhaus und wartete auf ihn, die heiße Zange in der Hand. Die Sonne war eben erst aufgegangen. Ich hoffte, dass Beth damit begonnen hatte, die Kühe zu melken, oder die Nachbarn um Hilfe gebeten hatte. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal das morgendliche Melken verpasst
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