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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs
Autoren: Nickolas Butler
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könnte. Also schließ ich jetzt mal einfach wieder die Augen. Aber ich höre zu.«
    »Es tut mir so leid, Mann«, sagte er. »So unendlich leid. Du bist wie ein Bruder für mich. Du bist viel mehr für mich, als es irgendein scheiß Bruder sein könnte, und es tut mir unsagbar leid.«
    »Ich will das alles nicht hören.«
    »Aber ich muss es dir sagen.«
    »Und ich hab dir gesagt, dass ich nicht noch mehr zu wissen brauche«, entgegnete ich und schielte ihn mit zusammengekniffenen müden und wahrscheinlich ganzblutunterlaufenen Augen an. Mein Körper fühlte sich grenzenlos erschöpft an.
    »Ich bin immer schon eifersüchtig auf das gewesen, was du hast. Aber ich habe sie nur damals geliebt. Jetzt nicht mehr. Und es tut mir leid, was ich dir angetan habe. Aber all das, was ich getan und gesagt habe, habe ich nur deswegen getan und gesagt, weil ich eigentlich immer nur das haben wollte, was du hast. Sie ist die Beste. Verstehst du? Etwas Besseres als Beth gibt es nicht.«
    Er atmete tief ein und ließ seinen Körper so weit wie es ging nach unten ins Wasser sinken. Aus seinen Nasenlöchern stiegen kleine Bläschen an die Oberfläche.
    Ich zählte die Sekunden, die er unter Wasser war, bis ich vergaß, wie weit ich schon gekommen war. Dann vergrub ich wieder den Kopf in meinen Händen – so unendlich müde – und sagte: »Ich vergebe dir.« Auch wenn ich nicht sicher war, ob er mich überhaupt hören konnte. Aber vielleicht war das ja egal. Wenn es um Lee ging, dann war das Wichtigste eigentlich immer nur, dass er sich selbst hörte.
    Ich stand auf, ging in die Küche und rief Beth von Lees Festnetztelefon aus an, denn ich hatte mein Handy zu Hause vergessen. Es war fast zwei Uhr morgens. Ich rieb mein Gesicht, gähnte und wartete darauf, dass sie den Hörer aufnahm. Sie hatte sich wahrscheinlich schon wahnsinnige Sorgen gemacht – ich hatte ihr gesagt, ich wäre vor Mitternacht zu Hause. Sie antwortete nach dem zweiten Klingeln und ich konnte hören, wie sie mit dem Telefon kämpfte, das neben unserem Bett lag.
    »Lee?«, fragte sie. Sie hatte die Rufnummer erkannt.
    »Ich bin’s, Baby. Henry. Tut mir leid, dass ich nicht eher angerufen habe. Ich bin bei Lee.«
    »Warum? Wo warst du? Du hast dein Handy hier vergessen,ich hab versucht anzurufen. Bestimmt zehn, zwölf Mal oder so, bis ich dein Handy dann in Alex’ Zimmer gefunden habe. Ist alles in Ordnung? Was ist passiert?«
    »Nichts, mir geht’s gut. Uns geht’s beiden gut. Hör zu, ich werd die Nacht über hier bleiben, okay? Ich bin viel zu betrunken, um es noch nach Hause zu schaffen.« Ich beschloss, erst mal nichts von Lees Schussverletzung zu erzählen.
    »Und dir geht’s wirklich gut?«
    »Ja, Beth, uns geht’s gut, wir sind beide okay. Ehrlich, es ist alles in Ordnung.«
    »Alles in Ordnung?«
    »He – ich liebe dich.«
    »Okay, aber kannst du – kannst du mich gleich morgen früh anrufen?«
    »Das mach ich. Ich liebe dich.«
    Ich hängte den Hörer auf und ging zurück ins Bad, um sicherzustellen, dass Lee nicht ertrunken war. Er stand aufrecht in der Wanne und ein kleines Blutrinnsal lief an seinem Bein hinunter, während er mit dem Zeigefinger in der Wunde stocherte.
    »Vielleicht hätten wir doch ins Krankenhaus fahren sollen«, sagte er mit matter Stimme.
    »Ich hab’s dir doch gesagt.«
    »Ich glaub, ich fall gleich in Ohnmacht.«
    »Setz dich erst mal wieder hin. Und dann verbinden wir dich. Und ich hol dir jetzt ein bisschen Orangensaft. Du wirst schon nicht abkratzen.«
    »Der Arsch hat auf mich geschossen.«
    »Ja. Und du hast ein Ei auf sein Auto geworfen.«
    »Und dann hat er auf mich geschossen, Scheiße noch mal.«
    Ich wachte am Sonntagmorgen davon auf, dass Lee vor Schmerzen laut schrie. Im Osten ging gerade erst die Sonne auf. Ich ging in sein Schlafzimmer, wo er in seinem Bett lag, fiebrig und mit klatschnassgeschwitzter Bettwäsche. Die Luft im Zimmer fühlte sich schrecklich heiß und stickig an. Ich schaute aus dem Fenster und sah einer Krähe dabei zu, wie sie über die Weide glitt und dann auf einem alten Zaunpfahl landete, auf dessen Spitze ein eng zusammengewickeltes Bündel aus Stacheldraht lag – eine rostige Dornenkrone. Eine der Wolken am Himmel sah aus wie ein Engel, der in seine Trompete bläst. Und ganz am hintersten Ende der Weide trottete ein Kojote am Waldsaum entlang und witterte die Frühlingsluft. Lee kratzte wild sein juckendes Bein. Ich öffnete das Fenster.
    »Wir holen das Ding da selber raus«, sagte
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