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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs
Autoren: Nickolas Butler
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alten Ritter getan hätte. Und als sie sich umarmten und zu tanzen begannen, da fiel mir zum ersten Mal der liebevolle Blick in seinen Augen auf. Ich schaute zu, wie er mit Beth tanzte, und dieser Anblick reichte schon, um mir erneut das Herz in tausend kleine Stücke zu zerbrechen. Ein erwachsener Mann, der sich vielleicht immer eine Tochter gewünscht hatte und nun mit einer erwachsenen Frau tanzte – einer der besten Freundinnen seines Sohnes.
    Ich sah auf meine Hände und dachte daran, wie sich die Rosenblätter darin angefühlt und wie wenig sie gewogen hatten.
    Ich kann mich nicht daran erinnern, wie Cecils Tanz mit Beth endete oder wie Ronnys Tanz mit ihr begann. Ich weiß nur noch, wie ich in der Schlange stand und wartete. Liebeskrank und traurig. Als ich an der Reihe war, gab ich der Trauzeugin meinen Fünfdollarschein und ging dann wie in Trance hinaus auf das zerkratzte Parkett. Ich nahm Beths Hand in meine Linke, legte meine Rechte auf ihre Hüfte und wartete, bis sie ihre andere Hand auf meine Schulter legte. Dann begannen wir uns langsam umeinanderzudrehen, so wie man auf einem Abschlussball oder einer Schulfeier tanzen würde. Ich hatte sie seit über einem Jahr nicht mehr berührt, und wir bewegten uns zunächst ein wenig zögerlich, bis wir schließlich den richtigen Takt für unsere langsamen Umdrehungen fanden. Unsere Hände waren feucht von Schweiß. Ich sah ihr unverwandt ins Gesicht, während ihre Augen hierhin und dorthin schweiften. Sie sah nicht unglücklich aus, aber auch nicht glücklich, und schließlich legte sie, wenn auchvielleicht nur aus Erschöpfung, leicht ihren Kopf auf meine Schulter.
    »Geht’s dir gut?«, fragte sie. »Du machst ein wenig den Eindruck, als stündest du etwas neben dir …«
    »Es ist schon okay. Ich weiß auch nicht, was los ist. Aber das Wichtigste ist, dass du heute Abend wunderschön aussiehst.«
    »He!«
    »Ja?«
    »Werd jetzt nicht komisch, ja? Henry und ich sind schon immer zusammen gewesen. Das weißt du.«
    »Ich weiß.«
    »Lee, du gehörst zur Familie, okay? Jetzt komm schon. Mach ein glückliches Gesicht.«
    »Ich weiß. Ich verstehe schon.«
    Ich wollte sie küssen, wollte die Musik anhalten, den Tanz, das Sektgelage. Ich wollte allen und jedem, der dort war, erzählen, dass Beth und ich etwas geteilt hatten – etwas Reales und Besonderes – und dass ich vielleicht, vielleicht , immer noch in sie verliebt war, und sie in mich. Aber das konnte ich natürlich nicht. Also zog ich sie einfach nur eng an mich heran und schaute ihr direkt in die Augen. Ich spürte, dass einige der Gäste uns zusahen, während wir uns auf der Tanzfläche drehten, so eng aneinandergepresst, dass wir uns mit dem Unterleib berührten; Gesichter wie das von Cecil oder Ronny, die uns anstarrten und zweifellos gerade dachten: Mein lieber Mann, der drückt die aber ganz schön eng an sich.
    Ihre Hand passte so perfekt in meine, als wäre sie dafür gemacht, und ich überließ mich einem kurzen Tagtraum: wie wir beide zusammen in einem weißen Bett lagen, unsere Gliedmaßen ineinander verschlungen, ihr kastanienbraunesHaar ausgebreitet, das morgendliche Sonnenlicht und die Freude, zusammen ein Kind zu zeugen. Ich sah, wie ihre Haare mit der Zeit immer weißer wurden, erst nur ein paar Strähnen, dann immer mehr und schließlich, nach langen Jahren, war ihr ganzer Kopf weiß, und dann wurde ihr Haar ganz schwach und brüchig und spröde. Ich sah ihr Gesicht, wie es jetzt war, und stellte mir vor, wie es in ferner Zukunft sein würde, nachdem die Sonne darin ihre Spuren hinterlassen hatte, die Sonne und die Kälte und die Präriewinde, und die Momente, in denen sie ihre Augen zusammenkniff oder in denen sie lachte. Gott im Himmel, es machte mich so unendlich traurig, mich aus diesem Traum reißen zu müssen, nur um der Zukunft in die Augen zu sehen, die tatsächlich vor mir lag, Jahrzehnte ohne diese Frau, Jahrzehnte, in denen ich sie mit meinem besten Freund zusammen sehen musste. Aber so war es eben.
    »Vielleicht ist das, was ich eigentlich sagen sollte, ja, dass es mir leidtut.«
    Sie sah mich an. »Was tut dir leid, Lee?« Wir hatten aufgehört zu tanzen.
    »Nein«, sagte ich. »Bitte hör nicht auf, mit mir zu tanzen. Ich meine ja nur, ach, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Es ist einfach … es tut mir leid, wegen dieser Nacht damals. Es tut mir leid, was passiert ist.«
    Sie hatte ihren Kopf wieder auf meine Schulter gelegt und ich konnte ihre Augen nicht mehr
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