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Ein Hauch von Seide - Roman

Ein Hauch von Seide - Roman

Titel: Ein Hauch von Seide - Roman
Autoren: Penny Jordan
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    London, Januar 1957
    Rose Pickford öffnete die Tür, betrat den Laden ihrer Tante Amber in der Walton Street, mit seiner Wärme und seinem vertrauten Duft nach Vanille und Rosen – ein Duft, der eigens für ihre Tante kreiert worden war –, und stieß erleichtert einen kleinen Seufzer aus.
    Eines Tages – so Ambers Worte – würde Rose nicht nur diesen exklusiven Laden in Chelsea leiten, wo die Möbelstoffe aus der Seidenfabrik ihrer Tante in Macclesfield verkauft wurden, sie würde auch Kunden bei der modernen und eleganten Neuausstattung ihrer Wohnungen beraten.
    Eines Tages.
    Doch im Augenblick war sie nur eine unerfahrene Kunststudentin frisch vom College, die bei Ivor Hammond, einem von Londons renommiertesten Innenausstattern, als Mädchen für alles angestellt war.
    »Hallo, Rose, wir wollen gerade eine Tasse Tee trinken. Möchtest du auch eine?«
    Rose lächelte dankbar. »Ja, bitte, Anna.«
    Anna Polaski, die den Laden im Augenblick führte, war zu Beginn des Zweiten Weltkriegs mit ihrem Ehemann Paul, der Musiker war, als Flüchtling aus Polen nach England gekommen. Anna war immer sehr freundlich, und Rose vermutete, dass sie ihr leidtat – weil Anna erkannte, dass auch Rose in gewisser Weise eine Außenseiterin war.
    »Ich hasse den Januar. Ein schrecklicher Monat, so kalt und so trist«, sagte Rose zu Anna, während sie die wunderschönen weichen italienischen Lederhandschuhe auszog, die ihre Tante ihr zu Weihnachten geschenkt hatte.
    »Ha! Das nennst du kalt? Du müsstest mal einen Winter in Polen erleben, mit meterhohem Schnee«, entgegnete Anna. »Wir essen bald zu Mittag«, fügte sie hinzu. »Ich habe selbstgemachte Gemüsesuppe mitgebracht, und du kannst mitessen, wenn du willst.«
    »Würde ich sehr gern«, antwortete Rose, »aber ich kann nicht. Ich muss um halb zwei zurück sein, damit Piers wegkann, um für einen neuen Auftrag auszumessen.«
    Piers Jeffries war Ivors Assistent, ein gut aussehender junger Mann, der vorgab, Rose zu mögen und ihr helfen zu wollen, der es aber gleichzeitig raushatte, die Dinge so zu drehen, dass man, sobald etwas schiefging, Rose die Schuld dafür gab. Nach außen mochte Piers Mitgefühl mit ihr zeigen und sich zuweilen sogar gegen ihren ungeduldigen und hitzigen Chef auf ihre Seite stellen, doch Rose hegte den Verdacht, dass er es insgeheim genoss, wenn sie in Ungnade fiel.
    »Ich muss den Ursprung eines Entwurfes meines Großonkels überprüfen«, erklärte Rose. »Ivor hat einen Kunden, der ihn benutzen möchte, und er hat sich danach erkundigt, wo er herkommt. Das Problem ist, dass er nicht weiß, wie der Entwurf heißt, er kann ihn nur beschreiben.«
    Anna schnaubte spöttisch. »Und er glaubt, du könntest es in einer halben Stunde herausfinden! Hast du ihn nicht daran erinnert, dass wir hier über zweihundert verschiedene Entwürfe haben, die auf die Zeichnungen deines Großonkels zurückgehen?«
    »Die sind alle in hellem Aufruhr. Der Kunde ist ungeduldig, und Ivor hat ihm die Information für heute Nachmittag versprochen. Er erweckt immer gern den Eindruck, die Dinge liefen wie am Schnürchen. Ich glaube, es ist einer der Entwürfe mit einem griechischen Fries, also fange ich mit dem Buch an.«
    »Dann geh schon mal hoch. Ich schicke Belinda mit einer Tasse Tee für dich rauf.«
    Das Erdgeschoss des Hauses in der Walton Street wurde als Ausstellungsraum genutzt, oben im Atelier, das auch als Büro diente, wurden die Musterbücher aufbewahrt.
    Da ihre Tante akribische Aufzeichnungen und Musterbücher führte, brauchte Rose nicht lange, um den gesuchten Entwurf zu finden. Den Stoff gab es in vier verschiedenen Farben: in einem warmen Rot, in Königsblau, in Dunkelgrün und in einem satten Goldgelb. Das Muster am Rand stammte von einem antiken Fries, den ihr Onkel abgezeichnet hatte. Das Stück Fries, das sich jetzt in einem Londoner Museum befand, hatte der Earl of Carsworth, wie es in den Notizen ihres Onkels hieß, in den 1780er Jahren von einer Bildungsreise auf den Kontinent mitgebracht.
    Rose notierte diese Informationen, trank ihren Tee, der inzwischen kalt geworden war, und eilte wieder die Treppe hinunter.
    Draußen blies der Ostwind ihr schneidend entgegen, und es kam ihr noch kälter vor als vorher, trotz der Wärme ihres dicken marineblauen Kaschmirmantels – ein Geschenk von ihrer Tante, als sie angefangen hatte zu arbeiten –, ein Mantel, in dem sie »den richtigen Eindruck erweckte«, hatte Amber gesagt.
    Den richtigen
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