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Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Titel: Sherlock Holmes und das Phantom der Oper
Autoren: Nicholas Meyer
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sagte sie und strich dem jungen Mann zärtlich über seine aufgewühlten Züge, bis sie sich wieder glätteten und ein Lächeln um seine Lippen spielte.
    »Den Rest kennen Sie, glaube ich.« Ihre Stimme hatte sich mittlerweile zu einem Flüstern gesenkt, das so entfernt klang wie die Abendbrise.
    Als sie endlich wieder aufsah, strömten ihr Tränen übers Gesicht.
    »Versprechen Sie mir, Monsieur«, flehte sie und sah mich direkt an. »Versprechen Sie mir, daß er nie wiederkommen wird.«
    »Niemals mehr, Mademoiselle.«
    Dann wurde sie von einem so krampfartigen Schluchzen geschüttelt, daß ich schon glaubte, es würde nie mehr aufhören.
    Für mich war es Zeit zu gehen.

KAPITEL ACHTZEHN

    Epilog

    Sherlock Holmes klopfte die Asche aus seiner Pfeife und streckte die Arme über seinen Kopf. Es herrschte mittlerweile Zwielicht, nicht l’heure bleu , sondern ein gutes, altmodisches englisches Zwielicht mit grauem Nebel, der vom Kanal her zu uns herüberrollte, und einer frostigen Kühle, die an die Stelle des früheren Sonnenscheins trat und uns dazu verlockte, unsere Stühle näher an das ersterbende Feuer zu ziehen. Draußen vorm Fenster hörte man nicht mehr das fröhliche Gesumm der Bienen, sondern, so glaubte ich, das entfernte Grollen der zornigen Brandung.
    »Die Pariser UBahn, Métropolitain genannt, eröffnete ihre Pforten im Jahre 1900.
    Natürlich läßt sie sich nicht mit der unseren vergleichen, und sie wurde entlang der Rue Scribe auch niemals fertig – dazu war der Boden einfach zu unsicher.« *
    »Sie haben ihm jedenfalls das Handwerk gelegt«, sagte ich und ordnete mein Kanzleipapier zu einem ordentlichen Stapel. Er legte einen dünnen Finger darauf und sah mich mit hellen, ernsten grauen Augen an.
    »Nicht ich, Watson.« Er schüttelte den Kopf. »Nicht ich. Es war das Zwanzigste Jahrhundert, das den Geist getötet hat.«
    Ich saß einige Zeit schweigend da und dachte über die merkwürdige Geschichte nach, die ich gerade gehört hatte. In Gedanken formulierte ich all die Fragen, die ich gern gestellt hätte. Holmes selbst schien in tiefe Grübelei versunken zu sein, denn er starrte ins Feuer und machte keine Anstalten zu gehen. Ich denke, die Erinnerungen, die er hatte wieder aufleben lassen, hatten ihn selbst in ihren Bann geschlagen.
    »Nicht gerade meine größte Stunde, Watson, wie Sie mir sicher beipflichten werden.« Er lächelte und lachte dieses trockene, stille Lachen, das so typisch für ihn war.
    »Aber Sie hatten Erfolg bei der Rettung von Miss Adler.«
    »Ja«, gab er in neutralem Ton zu, wich aber meinem Blick aus.
    »Was sonst noch?« fragte ich, da ich sah, daß er noch immer ganz im Bann seiner Erinnerungen stand. Er zuckte unverbindlich die Achseln.
    »Natürlich bin ich mehr als einmal zurückgegangen und habe den Tunnel durchsucht. Ich habe gesucht und gesucht, aber ich habe es nicht gefunden.«
    »Was nicht gefunden?«
    Er betrachtete mich erstaunt.
    »Die Oper natürlich, mein lieber Freund. Der Triumph des Don Juan . Aber Erde und Wasser hatten alles zerstört, und keine einzige Seite hat überlebt.« Er kratzte sich bedauernd am Hinterkopf.
    »Was für eine Schande. Wie gern hätte ich dieses Stück ganz gehört. Ich habe den starken Verdacht, daß es sich um ein Meisterwerk handelte.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber wer weiß, vielleicht war es auch etwas ganz Gewöhnliches, und ich bin nur ein Romantiker.«
    »Sie?«
    »Sie brauchen mich gar nicht so überrascht anzusehen, mein Junge. Ich war im Urlaub damals. Und in Paris.« Er stand auf und ging zu einem der Bücherregale hinüber, wobei er einige Schwierigkeiten hatte, in der hereinbrechenden Dämmerung noch die Titel zu lesen.
    »Ah, da ist es ja.« Er zog einen dicken Band heraus und brachte ihn zu mir. »Das war alles, was ich ausgraben konnte.«
    Es war eine Ausgabe der Ilias in einer englischen Übersetzung, angeschwollen auf ihren doppelten Umfang und schwer in meinen Händen, als wäre das Wasser noch immer da, um ihr Gewicht zu vergrößern. Ich hörte mich seufzen.
    »Wie reimen Sie sich diese Sache mit seiner Mutter zusammen?«
    Er zuckte die Achseln.
    »Ich reime mir gar nichts zusammen. Das bringt natürlich einen Teil meiner Theorie durcheinander – meiner Theorie und der von Ponelle«, fügte er hinzu und lächelte bei der Erinnerung an den jungen Geiger. »Wenn das Phantom mit seiner Geschichte über seine Mutter die Wahrheit gesagt hat, dann befinden wir uns im Irrtum, was seine Identität
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