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Bullenhitze

Bullenhitze

Titel: Bullenhitze
Autoren: Matthias P. Gibert
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1
    Das Klingeln des Telefons störte Horst Brandau zur absoluten Unzeit. Samstags nach 19 Uhr sollte man ihn nicht stören. Bei den meisten Männern übrigens sollte man um diese Zeit nicht anrufen; zumindest nicht bei denen, die kein Premiere-Abo haben. Sportschauzeit.
    Der große, übergewichtige Mann wuchtete sich fluchend aus dem Sessel und trabte zum Sideboard, ohne den Blick vom Fernseher zu wenden.
    »Brandau«, stöhnte er genervt in den Hörer.
    »Hallo, Herr Brandau, hier ist Liane Bötsch.«
    Er musste einen Moment nachdenken, bevor er den Namen und die Stimme mit einem Gesicht in Verbindung gebracht hatte. Die Chefin seiner Frau.
    »’n Abend, Frau Bötsch. Is’ gerade schlecht, wegen der Sportschau. Was gibt’s denn?«
    Sie zögerte, ehe sie antwortete. »Es ist wegen Ihrer Frau. Können Sie mal ganz schnell herkommen?«
    »Zu Ihnen, ins Geschäft?«
    »Genau.«
    Im Fernsehen wurde Lukas Podolski an der Strafraumgrenze brutal von den Füßen geholt, doch der Schiedsrichter wollte nichts gesehen haben und forderte ihn auf, weiterzuspielen.
    Brandau trippelte von einem Bein aufs andere. »Wie gesagt, is’ im Moment gerade gar nicht gut. Sportschauzeit ist heilig, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    »Es wäre aber wichtig.« Sie holte tief Luft. »Wegen Ihrer Frau.«
    Podolski handelte sich wegen Reklamierens eine gelbe Karte ein.
    »Was ist denn mit meiner Frau?«
    »Darüber möchte ich am Telefon nicht spechen. Kommen Sie einfach her, am besten sofort.«
    Brandau hätte kotzen können. Köln gegen Bayern, und er sollte sich in die Menschenmassen des Samstagsgeschäftes stürzen. Scheiße aber auch.
    »Ich komme, muss mir nur schnell was anziehen. Bin in fünf Minuten da.« Hoffentlich hat sie keinen Scheiß gebaut, dachte der Bauarbeiter, als er den Schlüssel ins Zündschloss seines alten VW-Golf steckte.
     
    Aus den fünf Minuten wurden zehn, weil er dreimal um den Block fahren musste, bis er einen Parkplatz ergattert hatte. Vor der Tür des Schuhgeschäftes, in dem seine Frau stundenweise aushalf, erwartete ihn eine kleine Menschenansammlung, die durch die Schaufensterscheibe ins hell erleuchtete Innere glotzte. Ein paar Meter entfernt  kreisten die blauen Lichter eines verlassenen Notarztwagens. Brandau wischte sich einige Schneeflocken von der Stirn, drängelte sich durch, schob die Glastür auf und betrat den nach Leder riechenden Laden.
    Liane Bötsch stand mit dem Rücken zur Eingangstür im Durchgang zum Lager. Mit dem dezenten Signal der Klingel, das Brandau ausgelöst hatte, drehte sie sich um. Ihr Gesicht war rot und feucht, die Hände hielt sie vor den Mund gepresst.
    »Es tut mir so leid …«, stammelte sie.
    Brandau hatte keinen Schimmer, wovon die Frau sprach.
    »Was ist denn hier los, Frau Bötsch? Is’ was passiert? Ich meine wegen dem Notarztwagen da draußen.«
    Sie drehte sich um und fing leise an zu schluchzen.
    Er sah irritiert an ihr vorbei in das kleine Lager. Dort blieb sein Blick an einem Paar dunkelblauer Schuhe hängen, die nach oben ragten und sich leicht hin und her bewegten. Es waren die gleichen, mit denen seine Frau einige Stunden zuvor zur Arbeit gegangen war. Auch die dunklen Strumpfhosen, die aus den Schuhen lugten und ein paar kräftige Frauenbeine umhüllten, kamen ihm bekannt vor. Er machte einen schnellen Schritt vorwärts und wollte den Raum betreten, wurde jedoch von einem in rot und neongelb gekleideten Rettungssanitäter gestoppt. Dahinter kniete ein weiterer Mann auf dem Boden, auf dessen Rücken in großen Buchstaben ARZT zu lesen war, und der sich hektisch auf und ab bewegte. Dabei presste er seine ineinander gefalteten Hände auf die nackte Brust einer Frau, die leblos, mit zerrissener Bluse und grau angelaufenem Gesicht, vor ihm lag. Horst Brandaus Frau. Aus ihrem Mund ragte ein schwarzer Plastikstopfen, der mit Heftpflaster um die Lippen herum verklebt war, und an dessen Ende ein durchsichtiger Schlauch hing. Über sie gebeugt stand ein weiterer Sanitäter mit einem Infusionsbeutel in der einen Hand. Mit der anderen versuchte er, die Anschlusskabel der Elektroden, die auf ihrer Brust angebracht waren, aus der Reichweite des Arztes zu halten. Hinter den Männern sah Brandau mehrere große, silberne Koffer, deren Klappen wie riesige Mäuler aufstanden. In einem davon war ein Gerät eingebaut, das einen leisen, dauerhaften Ton von sich gab. Überall lagen die Verpackungen der Utensilien herum, deren die Männer sich bedient hatten.
    Der
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