Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Titel: Sherlock Holmes und das Phantom der Oper
Autoren: Nicholas Meyer
Vom Netzwerk:
einem weniger großen Mann solche Exzesse geduldet hätte.
    Mifroid, der immer noch in streitlustiger Laune war, begleitete mich mit seinem Schreiber ins Hospital, wo wir die beiden Liebenden genauso vorfanden, wie wir sie verlassen hatten – der kleine Vicomte schlief immer noch, und seine Geliebte hielt nach wie vor seine Hand in der ihren.
    »Christine, das ist Inspektor Mifroid von der Präfektur.«
    »Wie geht es Ihnen, Mademoiselle? Sind Sie in der Lage, die Einzelheiten Ihres Martyriums zu erzählen?«
    Sie warf einen ängstlichen Blick in meine Richtung. »Sie müssen mich für sehr leichtgläubig halten, Monsieur.«
    Ich lächelte.
    »Nicht im geringsten.« Ich wies in die Richtung des Polizisten, und sie nickte.
    »Es war so, Monsieur. Ich kam an jenem Abend in die Opéra und war fest entschlossen zu singen. Monsieur Sigerson« – Mifroid machte zu meiner Erleichterung keine Anstalten, sie zu korrigieren – »hatte mich dazu ermutigt, nachdem er mich davon überzeugt hatte, daß mein Gönner« – hier senkte sie die Stimme zu einem widerwilligen Flüstern und machte ein reuiges Gesicht – »auf diese Weise gezwungen wäre, sich zu zeigen, und ich den Mächten helfen konnte, die den Mächten …« Sie zögerte abermals. Was für Mächte, so schien sie sich zu fragen, waren wir eigentlich?
    »Den Mächten des Tageslichts«, ergänzte ich glatt. Sie machte eine winzige Geste mit dem Kopf, womit sie ihre Zustimmung zu dieser Definition andeutete. »…  damit ich also helfen konnte, ihn zu fangen. Der arme Nobody.« Sie seufzte.
    »Wen meinen Sie mit Nobody?« wollte Mifroid wissen.
    »So nannte er sich, Monsieur.«
    Mifroid blinzelte überrascht, blieb jedoch beim Thema.
    »Bitte fahren Sie fort, Mademoiselle.«
    »Wie Monsieur Sigerson gesagt hatte, hielt ich mich von meinem eigenen Umkleideraum fern, bis es Zeit war, auf die Bühne zu gehen. Ich war in den Kulissen und wartete auf mein Stichwort, als ich Nobody singen hörte. Beinahe wäre ich in Ohnmacht gefallen. Ich glaubte, ich würde auf der Stelle sterben. Es gibt – ich sollte wohl sagen, es gab – keine andere Stimme auf der Welt, die sich mit seiner vergleichen ließ. In meiner Nähe stand der Stuhl des Inspizienten, auf den ich mich fallen ließ. Ich hielt mir die Hände über die Ohren, um diesen …« Sie suchte nach dem richtigen Wort und zuckte dann hilflos die Achseln. »Um diesen unmöglichen Klang nicht hören zu müssen.« Sie hustete und räusperte sich bei der Erinnerung. »Dann ging er nach links von der Bühne ab, und ich fühlte mich besser. Ich wußte, die Wände würden ihn verschlucken, bevor irgend jemand ihn erreichen konnte, und das tröstete mich. Der Schwindel, der mich umfangen hatte, ließ nun langsam nach. Während Le Prophète stand ich wieder auf und lief ein wenig herum. Als der Vorhang sich dann schließlich für mich hob, hatte ich Angst, konnte mich aber gut konzentrieren. Ich erinnerte mich an alles, was er mir beigebracht hatte«, so stellte sie nun nicht ohne Ironie fest, »und ich sang, wie ich immer sang – nur für ihn.« Tränen traten ihr in die Augen, aber sie blinzelte sie resolut weg. »Sie hatten recht, Monsieur Sigerson, die Musik hat mich getragen.«
    »Das ist die größte Tugend der Musik, Mademoiselle.«
    »Und dann?« drängte Mifroid mit einer durchschaubaren, schmierigen Unterwürfigkeit, die ihr eigentlich nicht hätte entgehen dürfen, aber sie bemerkte nichts.
    »Ich nahm meinen Beifall entgegen und zog mich langsam von der Bühne zurück. Auf einmal wurde alles dunkel.
    Zur gleichen Zeit öffnete sich der Boden unter meinen Füßen, und ein Paar eiserne Arme fing mich auf. Noch bevor ich schreien konnte, legte sich eine Hand über mein Gesicht, und ich atmete einen widerlichen Duft ein« – sie zuckte bei dem Gedanken daran zusammen – »und an mehr kann ich mich für eine Zeitlang nicht erinnern.
    Als ich erwachte, hatte ich das Gefühl, mich in einem Märchen oder einem Traum zu befinden.« Sie blickte zur Krankenhausdecke hinauf, als stünde dort die Erinnerung an das, was geschehen war, geschrieben. »Ich saß auf einem wunderschönen weißen Pferd, das von einem Kavalier in Rot geführt wurde. Reiherfedern zierten seinen Helm. Wir gingen einen schmalen und mit tausend Kerzen beleuchteten Pfad hinunter, bis wir an einen nebelbedeckten See kamen. Es schien beinahe so, als stünde ich unter einem Zauberbann.«
    »Ein See?« fragte Mifroid höhnisch, wobei er seine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher