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Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Titel: Sherlock Holmes und das Phantom der Oper
Autoren: Nicholas Meyer
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frühere mitleidige Pose gänzlich vergaß.
    »Ich weiß, es hört sich absurd an. Vielleicht schlief ich noch und träumte, Monsieur.«
    »Nun, so hört es sich tatsächlich an.«
    Ich bedeutete ihm zu schweigen. »Bitte fahren Sie fort, Mademoiselle.«
    »Es war so sehr wie ein Traum«, wiederholte sie. »Schließlich half er mir abzusteigen, und ich glitt wieder in seine Arme. Er trug mich, als hätte ich überhaupt kein Gewicht. Ich schien auf seinen Armen zu schweben.« An dieser Stelle warf sie einen ängstlichen Blick auf ihren Geliebten, und dann, nachdem ich sie mit einem Husten an ihre Aufgabe erinnert hatte, fuhr sie fort: »Schließlich setzte er mich in ein Boot –«
    »Pah!«
    »Bitte, Inspektor. Haben Sie die Güte, zuzuhören.«
    Ich mußte Christine nicht noch einmal zum Weitererzählen drängen. Ihre Augen waren glasig geworden und blickten ins Leere, während die Geschichte, die eine merkwürdige Eigendynamik gewonnen hatte, sich wie von selbst erzählte.
    »Wir glitten über den magischen See, zerteilten die Nebel mit unseren Rudern. Es war nicht besonders weit, dann hob er mich aus dem Boot heraus und brachte mich in sein Haus.«
    Die Erinnerung an das Haus ließ sie blinzeln und riß sie in die Wirklichkeit zurück.
    »Es war ein ganz normales Haus mit jedem erdenklichen Luxus. Mein Zimmer war bereits fertig für mich –«
    » Ihr Zimmer?« platzte der Polizist heraus.
    Sie nickte, sah ihn jedoch nicht an.
    »Es waren Kleider für mich da, in meiner Größe und meinem Geschmack entsprechend. Schneeweiße Gewänder zum Beispiel. Es gab ein Bett, und an den Wänden hingen einige meiner Lieblingsbilder. Auf dem Bücherregal standen die Bibel und einige Ausgaben der Bücher, die ich am liebsten mag. Es gab eine Ankleidekommode und ein Boudoir – alles so, als hätte er meine Gedanken lesen und erraten können, wonach ich mich sehnte. Er hatte jeden meiner Wünsche vorhergesehen.«
    Sie war wieder in diesen tonlosen Singsang verfallen, der so charakteristisch für die Erzählung ihres Traums schien. Ich fragte mich, ob das vielleicht eine Nachwirkung des Chloroforms war. »Am anderen Ende des Raumes stand eine große Orgel mit drei Manualen und Pedalklaviatur, und er begann zu spielen, nachdem er mir zuerst ein paar Früchte zu essen und ein Glas kalten Wein zu trinken gegeben hatte. Er mußte mir nicht sagen, was für eine Musik es war. Er spielte seine Oper. Sie wissen« – sie sah mich für einen Augenblick an – » Der Triumph des Don Juan , die Oper, an der er so lange gearbeitet hatte. Ich lauschte – das Stück hatte eine magische Anziehungskraft –, und er sang. Beim Zuhören war ich in der merkwürdigsten Weise überwältigt, verzehrt von einem verzweifelten Sehnen, in dem Gefühl, daß alles zu dem Traum gehörte, verstehen Sie – dem Traum, in dem ich lebte. Ich stahl mich leise hinter ihn, magisch angezogen von der Musik, aber auch wie in Trance von einem inneren Impuls getrieben, den ich weder erklären noch leugnen konnte.« Sie zögerte.
    »Ja?«
    Mit ihrer freien Hand deutete sie an, was als nächstes geschah.
    »Ich stellte mich ganz leise hinter ihn, und dann – schnell und plötzlich – riß ich seine Maske weg!« Sie keuchte und legte sich eine Hand über den Mund. Ich konnte nicht sagen, ob sie damit die Erinnerung an dieses Ereignis unterdrücken oder verhindern wollte, daß ihr Geliebter erwachte.
    »Er drehte sich sofort um. Ah, dieses Gesicht! Selbst wenn ich tausend Jahre alt würde, könnte ich dieses Gesicht nie vergessen!« Sie drehte sich Bestätigung suchend zu mir um. »Sie wissen es, Monsieur Sigerson. Sie haben es gesehen.« Ich nickte, aber sie schien keine Notiz davon zu nehmen, so sehr war sie in ihren eigenen Erinnerungen gefangen. »Aber noch seltsamer als das Gesicht – so schrecklich verzerrt von Überraschung und Zorn – war das, was aus seinem Mund kam! Keine Sprache, keine wunderschöne Stimme, überhaupt keine Stimme mehr, sondern statt dessen eine Art schreckliches Kreischen! Er stürzte zu Boden und krümmte sich zu meinen Füßen; seine Kiefer klafften auseinander, aber das einzige Geräusch, das sie ausstießen, war eine Reihe von wimmernden Schreien und erstickten –« Sie brach ab und versuchte, die passenden Worte zu finden, wobei ihr Mund sich öffnete und schloß wie der eines Goldfisches. Mifroid betrachtete sie sprachlos. »Schließlich streckte er mir einen zitternden Arm entgegen. Ich wußte, was er wollte, was er
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