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Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Titel: Sherlock Holmes und das Phantom der Oper
Autoren: Nicholas Meyer
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brauchte.
    Ich hatte die Maske in der Hand, wissen Sie. Automatisch gab ich sie ihm. Sie hätten es nicht anders gemacht, wenn Sie ihn gesehen hätten, bemitleidenswert wie nur irgendein verkrüppelter Bettler, der unter der Pont Neuf schläft, aber mit noch schlimmerem Schicksal als der Geringste unter ihnen, verflucht mit diesem Gesicht, das selbst einen Blinden entsetzt hätte.
    Wie gelähmt nahm er mir die Maske ab, und mit einigen Schwierigkeiten befestigte er sie wieder an seinem schrecklich mißgestalteten Kopf. Als sie wieder an ihrem Platz saß, war es so, als kehrte auch sein altes Selbst zurück. Er erhob sich, hielt sich zuerst noch am Tisch fest, ließ ihn dann los und taumelte wie ein Betrunkener auf mich zu. Ich konnte hören, wie er flüsternd mit sich selbst sprach, seine Stimme ausprobierte, um sicherzugehen, daß er sie zusammen mit seinem falschen Gesicht wieder zum Leben erweckt hatte.
    Als er dann wieder sprach, kamen wunderschöne und sonore Worte aus seinem Mund, obwohl sein Zorn entsetzlich war. ›Bist du jetzt zufrieden?‹ rief er mit einem Ausdruck, als breche ihm das Herz. ›Jetzt, da du mein Geheimnis erfahren hast! Bist du zufrieden ? Weißt du, was es mich gekostet hat, daß du mich so gesehen hast, mich, der ich dich liebe und bewundere wie die Nacht die Sonne?‹ Ich zitterte, als ich ihn das sagen hörte, und wußte nicht, wie ich ihm antworten sollte. ›Tagelang, wochenlang, ja sogar jahrelang habe ich in meinem Königreich der ewigen Nacht gelebt und nichts erwünscht – bis ich dich hörte. ‹ Er würgte an diesen Worten wie ein Ertrinkender an dem Wasser, das in seine Lungen flutet. ›Bis ich dich hörte, und mein Herz wie eine Glocke zersprang, die deinen Namen läutet.‹
    ›Was wollen Sie von mir?‹ fragte ich leise und schluchzte. Ich empfand Mitleid, aber auch Angst. ›Was muß ich tun?‹
    ›Meine Oper ist fertig‹, erklärte er ungeduldig. ›Wie ich dir vorhergesagt habe. Es ist mein Lebenswerk. Ich möchte, daß du sie mit mir zusammen aufführst. Nur deine Stimme kann meiner Heldin gerecht werden.‹
    ›Und dann darf ich gehen?‹
    Die Frage schien ihn zu überraschen. ›Wohin möchtest du denn gehen?‹ wollte er wissen. ›Hier gibt es alles, was du dir nur wünschen kannst.‹
    Als ich ihm sagte, ich wolle nach Hause gehen und zu Mutter Valerius, wurde er sehr wütend und stürmte durchs Zimmer. ›Du sagst mir nicht die Wahrheit!‹ rief er. ›Es ist nicht die alte Frau, nach der du dich sehnst!‹ Als ich darauf bestand, daß er mich, nachdem ich für ihn gesungen hatte, nach Hause gehen lassen mußte, warf er mich auf das Bett und rief: ›Hier ist dein Zuhause! Hier wirst du meine Braut sein, meine Königin, und dies wird von nun an dein Königreich sein.‹
    Wie Sie sich vorstellen können, hat mich das furchtbar erschreckt, denn nachdem ich sein Gesicht gesehen und seinem wilden Gerede zugehört hatte, wußte ich zumindest so viel, daß mein Engel wahnsinnig war. Er hatte wirklich um meinetwillen gemordet, und nun – wer wußte, ob er nicht um meinetwillen wieder morden würde?
    Und während der ganzen Zeit war dieses schreckliche Beben überall um uns herum, und er ballte die Fäuste und hob sie drohend zur Decke seines kleinen Zuhauses und brüllte, wie nur je ein Tier des Dschungels gebrüllt hat. Schließlich sah ich, daß ich keine andere Möglichkeit hatte, ihn zu beschwichtigen, als mit ihm seine Oper aufzuführen.«
    Es entstand ein langes Schweigen.
    Der Vicomte rührte sich wieder einmal in seinem Schlaf, und Christine gab ihm, dankbar für diese Unterbrechung, einen Kuß auf die Stirn.
    »Das Werk ist nicht gerade kurz, und es dauerte eine ganze Weile, es zu singen, vor allem, da der Schöpfer dieses Stückes so hohe Maßstäbe hinsichtlich der Ausführung hatte, aber ich sah, daß meine Bemühungen ihn beschwichtigten und beglückten, denn er schien mit Leib und Seele bei der Musik zu sein. Ich gestehe, ich fand das Stück genauso schön, wie er es mich hatte vermuten lassen. Aber ich hatte immer noch solche Angst, daß ich mich von Zeit zu Zeit ausruhen mußte – ein Aufschub, den der Komponist mir nur mit größtem Widerwillen gewährte. Allzu früh wurde er ungeduldig und riß mich wieder aus meinem unruhigen Schlummer. So besessen war er von seinem Wunsch, die Aufführung zu beenden, daß er sich nicht um meine Müdigkeit kümmerte oder um meine Ängste.
    Später hörte ich eine Stimme durch die Wand, die meinen Namen rief«,
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