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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram
Autoren: Gregory David Roberts
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ziemlich verstört, weil Ghani meine Idee so pervertiert hatte. Das fand ich überhaupt nicht gut. Ich hielt es für dumm und unnötig. Und ich dachte, dass wir alle deshalb Schwierigkeiten kriegen würden, die wir wirklich nicht brauchten. Ich versuchte Khaderbhai die Sache auszureden. Ich habe versucht, den Morden ein Ende zu setzen. Aber ich hatte keinerlei Gefühle dazu, nicht einmal, als sie den alten Madjid umbrachten. Und … und den mochte ich, weißt du? Ich mochte den alten Madjid gern. In gewisser Weise war er der Beste von der ganzen Truppe. Aber ich empfand nicht das Geringste, als er getötet wurde. Und ich empfand überhaupt nichts, als Khader mir sagte, dass er dich im Gefängnis lassen musste, wo du misshandelt wurdest. Ich hatte dich gern – mehr als jeden anderen –, aber ich fühlte mich nicht schlecht und spürte kein Mitleid. Irgendwie verstand ich nur, dass es so kommen musste und dass es unglücklicherweise dich getroffen hatte. Aber empfunden habe ich gar nichts. Und da wurde es mir klar – dass ich abhauen musste.«
    »Und was ist mit Goa? Du kannst doch nicht behaupten, dass du da nichts gefühlt hast.«
    »Nein. Als du nach Goa kamst und mich gefunden hast – ich wusste, dass es so kommen würde –, da war alles … ziemlich gut. Ich dachte, so muss es sich anfühlen … das ist es also, wovon die Leute reden … Aber dann wolltest du nicht bleiben. Du musstest zurück, zu ihm, und ich wusste, dass er dich bei sich haben wollte, dass er dich vielleicht sogar brauchte. Ich konnte dir nicht sagen, was ich über ihn wusste, weil ich in seiner Schuld stand. Und weil ich nicht wusste, ob ich dir trauen konnte. Deshalb ließ ich dich gehen. Und als du gegangen bist, habe ich wieder nichts gefühlt. Absolut gar nichts. Ich wollte nicht, dass mir vergeben wird wegen meiner Taten. Ich wollte, dass mir vergeben wird – und weil ich das noch immer will, gehe ich jetzt zu Khaled und Idriss –, weil mir nichts leidtut und ich nichts bereue. Ich bin innerlich erkaltet, Lin. Ich mag manche Menschen und manche Dinge, aber ich liebe nichts. Nicht einmal mich selbst. Und niemand liegt mir wirklich am Herzen. Und, weißt du, das Komischste ist, dass ich mir nicht mal wünsche, es wäre anders.«
    Das war es. Die ganze Wahrheit in allen Einzelheiten, alles, was ich wissen wollte seit jenem Tag in den Bergen im Schneegestöber, als Khader mir von ihr erzählt hatte. Ich hatte wohl erwartet, dass ich mich gestärkt und bestätigt fühlen würde, wenn ich sie zwang, mir alles zu erzählen und ihre Gründe darzulegen. Ich hatte wohl gehofft, ich wäre erlöst und getröstet, wenn ich die Wahrheit aus Karlas Mund hörte. Doch stattdessen fühlte ich mich leer; ich empfand jene Art von Leere, die traurig, aber nicht verzweifelt ist, bekümmert, aber nicht innerlich gebrochen, verletzt, aber dabei klarer und reiner. Und dann kam mir das Wort für diese Art von innerer Leere in den Sinn – ein Wort, das wir oft benutzen, ohne das Universum des Friedens zu erahnen, das in ihm steckt. Das Wort lautet: frei.
    »Ich jedenfalls«, sagte ich und legte Karla die Hand an die Wange, »vergebe dir, Karla. Ich vergebe dir, und ich liebe dich, und ich werde dich immer lieben.«
    Unsere Lippen trafen sich wie wogende Wellen in der stürmischen See, und es kam mir vor, als stürze ich in die Tiefe: ich war frei, und ich sank herab aus der Liebe, die sich in mir geöffnet hatte wie eine Lotosblüte.
    Und zusammen fielen wir, umweht von ihrem schwarzen Haar, in den warmen Sand im Schutz des gesunkenen Bootes.
    Als unsere Lippen sich lösten, stürzten Sterne durch den Kuss in ihre meergrünen Augen. Eine ewige Sehnsucht strömte aus ihren Augen in meine. Eine ewige Leidenschaft floss aus meinen grauen Augen in die ihren. Unser ganzer Hunger, unser fleischliches, nach Hoffnung ausgehungertes Sehnen strömte in die Augen des anderen: der Augenblick, als wir uns begegneten; das ausgelassene Lachen im Leopold’s; die Stehenden Babas; das Dorf im Himmel; die Cholera; die Rattenmeute; die Geheimnisse, die sie mir vor dem Einschlafen zuraunte; das Liebeslied im Boot unter dem Gateway während der Überschwemmung; das Gewitter, als wir uns zum ersten Mal liebten; die Freude und das Alleinsein in Goa; und unsere Liebe, die Schatten ans Fenster zeichnete, an jenem letzten Abend vor dem Krieg.
    Und es gab keine Worte mehr. Es gab keine klugen Sprüche mehr, als ich sie zu einem Taxi brachte. Ich küsste sie noch einmal. Es war ein
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