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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt
Autoren: Michael Köhlmeier
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ausgebreiteten Armen vor dir stehen bleibe, du kannst mir nichts antun, Macduff!«
    Und Macduff betont jedes seiner Worte: »Verzweifle an deinen Weissagungen, Macbeth! Ich, ich bin nicht geboren worden, ich wurde aus einer Frau geschnitten.«
    Sehen wir ein Lächeln in Macbeths Gesicht? Weil sich auch dieser erhabene Spruch eines Erdgeistes lediglich als ein medizinisches Kunststück erweist, durch und durch weltlich, durch und durch real: ein Kaiserschnitt.
    »Ergib dich!« herrscht ihn Macduff an.
    Er weiß, Macbeth wird sich nicht ergeben. Macbeth will nicht als Wunderschauspiel für den Pöbel weiterleben. Macduff weiß das.
    Macbeth kämpft. Er kämpft gegen Macduff, und er kämpft gegen die Bilder seiner Phantasie. Nur noch wenige Augenblicke trennen ihn vom Ende; diese kleine Zeit will er für sich sein, frei von den Zwängen der Imagination. Immer hat er sich ein Ziel gesetzt, und von diesem Ziel aus hat er auf den Ablauf des Lebens geblickt, als gäbe es keine Gegenwart, als wäre der, der da handelt, ein anderer. Nun sind Weg und Ziel eins. Macbeth ist Macbeth.
    Und Macbeth fällt. Macduff schlägt ihm den Kopf ab. Die Zeit ist frei. Der Bluthund ist tot, ist seiner höllischen Königin gefolgt.

Othello
    Die Stelle eines Leutnants war zu besetzen. Zwei Kandidaten kamen dafür in Frage: Michael Cassio und Jago. Michael Cassio ist ein junger Mann, er hat wenig Erfahrung im Kriegführen vorzuweisen, ist liebenswürdig, charmant. Er neigt allerdings zum Jähzorn, was ihm aber in den meisten Fällen gern verziehen wird, eben weil er jung, liebenswürdig und charmant ist. Jago dagegen hat sich als zuverlässiger Soldat profiliert, er ist nicht gerade die rechte Hand des Generals, aber immer an seiner Seite. An den Schläfen wird er bereits grau. Ihm muß der General nichts erklären, weil er keine Erklärungen von einem General braucht. »Ich bin nicht, der ich bin.« So beschreibt sich Jago selbst. Für einen Vorgesetzten kann das nur heißen: Er ist, was ich von ihm will. Jago wäre der richtige Mann für den Posten des Leutnants. Aber er bekommt den Posten nicht. General Othello übergeht ihn und zieht Michael Cassio vor.
    Othello ist General unter dem Herzog von Venedig. Er genießt großen Respekt in der Stadt, bisher gab es keinen Anlaß, an seinen Fähigkeiten zu zweifeln. Er wird zu den Festen der feinen Gesellschaft eingeladen. Dort steht er dann herum, Glas in der Hand, meistens allein. Man schätzt es nicht, länger als nötig in seiner Gegenwart gesehen zu werden. Denn seine Hautfarbe ist schwarz.
    Einem wie ihm traut man ja alles mögliche zu. Militärisches Genie unter der Wolle seines Kopfes hält man allerdings für absonderlich. Doch der Mann ist ein militärisches Genie, daran hat niemand Zweifel. Othello stammt aus Afrika, über seine Herkunft weiß man wenig. Er ist ausgestattet mit dem Selbstbewußtsein eines Königs. Das wird mit verhohlener Mißbilligung registriert. Unterwürfigkeit stünde so einem besser an. Meint man, flüsternd.
    Ohne lange abzuwägen, hat Othello also den Cassio zum Leutnant befördert. Niemand erwartet eine Erklärung. Aber er gibt eine ab. Weil er ihn liebe, sagt er. Ein General liebt? Erstaunlich. Liebe ist ja nicht unbedingt ein militärisches Erfordernis.
    Othello macht sich keine Gedanken darüber, ob er Jago unrecht getan hat, wie die Zurückweisung wohl auf Jagos Gemüt wirkt, wie sich eine weitere Zusammenarbeit mit ihm gestalten wird. Othello ist ein Egomane. Sicher ist er in der Lage einzuschätzen, was für einen Eindruck er auf andere Menschen macht. Aber in diesem Fall interessiert ihn das nicht.
    Jago dagegen liegt auf eine eigentümliche, paradoxe Art recht wenig an sich selbst. Unwillkürlich fragen wir uns: Hätte er, wäre er an Othellos Stelle, sich selbst zum Leutnant gemacht? Dennoch empfindet Jago die Zurückweisung als einen Angriff gegen seine Person. Er wird sich verteidigen. Verteidigung heißt für ihn nicht, das eigene schützen, sondern das andere vernichten. Jago ist eine durch und durch destruktive Persönlichkeit. Seine Verteidigung heißt Rache.
    Wer Ambitionen hat, ein Intrigant zu werden, soll den Jago studieren. Wie geht er vor? Was ist sein Plan? Jago hat keinen Plan, jedenfalls keinen, der über zwei Schritte hinausreicht. Wenn einer ein Haus baut, braucht er einen Plan, wenn er ein Haus zerstören will, braucht er keinen. Er kann anfangen, wo er will, er kann zum Beispiel eine Fensterscheibe einschlagen.
    Jago wundert sich
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