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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt
Autoren: Michael Köhlmeier
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persönlich kennen. Macbeth ist die Inkarnation des Schreckens. Seine Person entzündet die Phantasie der Menschen, und sie brennt wie vom Höllenfeuer genährt. Die Menschen fürchten sich vor der Rache des neuen Königs so sehr, daß ihm niemand Grund zur Rache geben möchte. Muckertum ist die Folge.
    Macbeth ist am Ziel.
    Ist er am Ziel? Was ist das Ziel in einem Menschenleben? Er ist an dem Punkt angekommen, den ihm die Hexen gewiesen haben. Er betrachtet den Weg, den er gegangen ist, und es erscheint ihm, als hätte ihn ein anderer zurückgelegt. Das Ziel ist erreicht, aber das Leben geht weiter. Und das Ziel des Lebens ist das Ende. Davon aber haben die Hexen nicht gesprochen. Macbeth ahnt sein Ende. Und er ahnt, das Ende wird sich den Weg ebenso selbst suchen wie jedes andere Ziel.
    Was haben die Hexen zu Banquo gesagt? Sie haben gesagt: »Du wirst nicht König sein, aber du wirst der Vater von Königen sein.« Wie soll das gehen, denkt Macbeth. Wenn hier einer der Vater von Königen sein wird, dann doch ich!
    Die Einbildungen machen ihn weich und verletzlich. Seine Gemahlin, die Lady, sie kennt diese Krankheit der inneren Bilder nicht. Er schmiegt sich an sie. Sie kann ihn nicht heilen. Aber sie kann ihm die Starre nehmen, die ihn befällt, wenn er von seinen Bildern heimgesucht wird. Sie kann für eine kleine Zeit die bösen Ahnungen vertreiben. Er schmiegt sich an sie.
    »Von dir«, sagt er, »von dir möchte ich Söhne haben. Sie sollen sein wie du.«
    Eine große Liebe ist zwischen den beiden, aber im Tiefsten mißverstehen sie einander, weil jeder das Tiefste des anderen nicht begreifen kann. Lady Macbeth sieht nicht, welche Macht die Einbildung über ihren Mann hat. Und er hält es nicht für möglich, daß sie ein Gewissen hat, und sieht auch nicht, daß ihr Gewissen bereits Gericht über sie hält. Er wird stärker an ihr, sie wird schwächer an ihm. Er verliert seine Zweifel, sie beginnt zu verzweifeln.
    Die Logik diktiert ihm: Ich werde Banquo und seine Familie auslöschen. Es ist ganz einfach: Die Weissagungen irrealer Wesen können auf reale Weise außer Kraft gesetzt werden.
     
    Jeder weiß, daß Macbeth König Duncan ermordet hat. Wer Verstand hat, kann nicht anders denken. Macduff, einer der Edlen, flieht. Soll er! Wer gehen will, soll gehen! Macbeth pfeift auf Loyalität. Hochachtung und Liebe von seinen Untertanen bedeuten ihm nichts. Über Macduff haben die Hexen kein Wort verloren. Die Hexen haben das Ziel des Macbeth definiert, und in dieser Definition hatte Macduff keinen Platz.
    Macbeth kauft Killer.
    »Tötet Banquo und seinen Sohn!«
    Dann gibt er ein Fest, und alle, die noch da sind, kommen. Sie kommen, weil sie Angst haben. Wer fernbleibt, ist ein Feind, Macduff zum Beispiel.
    »Wo ist Macduff?« heißt es.
    »Wo ist Macduff?« fragt Macbeth.
    Niemand gibt Antwort. Eine Antwort, und wäre sie noch so kurz, noch so neutral in Wortwahl und Ton gehalten, könnte als Rechtfertigung ausgelegt werden. Kann es einen Grund geben, daß einer nicht kommt, wenn Macbeth einlädt?
    Macbeth fragt: »Und wo ist Banquo, Banquo, mein Freund?«
    Er bekommt eine Antwort: »Er hat gesagt, er wird sich etwas verspäten.«
    »Hat er dringende Geschäfte zu erledigen?«
    »Er kommt später«, heißt es, »aber er kommt.«
    Man hat nie ein böses Wort aus Banquos Mund über Macbeth gehört. Banquo, der General, ja, er könnte ein gefährlicher Gegner des neuen Königs sein. Aber er könnte auch sein stärkster Verbündeter sein. Er hat gesagt, er komme etwas später, aber er kommt. Warum fragt Macbeth? Weiß er es nicht? Oder weiß er es und will uns prüfen? Aber wie könnte so eine Prüfung aussehen? Vielleicht kommt Banquo später, weil er für Macbeth etwas erledigen soll. Aber was? Vielleicht hat das, was Banquo erledigen soll, mit mir zu tun? Dann mache ich mich verdächtig, wenn ich ein weiteres Wort über sein Zuspätkommen verliere. Ein zweites Wort würde wie eine Kritik an General Banquo klingen. Oder mache ich mich verdächtig, wenn ich gar nichts sage? Also sage ich: »Er kommt später, aber er kommt.« Und mehr sage ich nicht.
    »Wir wollen auf ihn warten«, sagt Macbeth.
    Ein Diener erscheint, ruft Macbeth nach draußen. Dort warten zwei Herren. Es sind die Killer.
    »Und?«
    »Banquo ist tot.«
    »Und weiter?«
    »Sein Sohn konnte entfliehen.«
    Soviel Stärke hat er aus der Umarmung seiner Frau gewonnen! Eine Mauer haben ihre Arme aufgerichtet gegen seine Bilder. Aber die Frau ist krank.
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