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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt
Autoren: Michael Köhlmeier
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sollen und an ihre Hände und an ihre Kleider, die nach Wein stinken!«
    Sie schleicht sich ein zweites Mal in die Kammer. Wendet den Blick vom König ab. Legt die Spuren. Es ist getan.
     
    Macduff, einer der Edlen aus dem Gefolge des Königs, entdeckt am nächsten Morgen den Mord. Das Bild, das sich ihm zeigt, erzählt eine einfache, eindeutige Geschichte: Die Wächter waren es. Niemand weiß, warum sie es getan haben. Blutbesudelt stehen sie da. Tun so, als wüßten sie von nichts. Haben obendrein die Frechheit zu fragen, was eigentlich geschehen sei. Haben übernächtigte Räusche im Gesicht.
    Dann geschieht etwas Begreifliches. Macbeth reißt sich den Dolch vom Gürtel und ersticht die beiden.
    »In meinem Haus ist der König ermordet worden!« sagt er. Und er sagt es mit ruhiger Stimme. So kennt man den General: ruhig, gefaßt, voraussehend, den Moment streng analysierend. »Ich konnte meine Gefühle nicht zurückhalten.«
    Die Täter sind tot. Der Mord ist gerächt. Macbeth sind die Nerven durchgegangen. Das ist begreiflich. Aber es ist auch höchst unvorteilhaft für die Aufklärung des Königsmordes. Denn es glaubt ja keiner, daß diese bis dahin so treuen Diener von sich aus eine solche Tat planen und durchführen.
    Macduff spricht aus, was alle denken: »Wenn sie wirklich die Täter waren, dann haben sie den Tod verdient. Aber wenn sie es nicht waren, sind mit ihnen vielleicht die einzigen Zeugen beseitigt worden.«
    Die Söhne von König Duncan, Malcolm und Donalbain, gehen noch weiter: »Warum sollten die Wachen das tun? Sie verdienten gutes Geld in ihren Positionen. Außerdem kann ein Mensch nicht so dumm sein und sich ausgerechnet neben den zum Schlafen legen, den er gerade ermordet hat.«
    »Also, was denkt ihr?« fragt Macbeth.
    »Nicht, was hinter unserer Stirn verborgen ist, ist wichtig«, antwortet Malcolm, »sondern was du dir denkst, Macbeth!«
    Macbeth bleibt ruhig. Nichts geschieht, alles ist bereits geschehen. Er blickt Malcolm kalt ins Auge. »Ich will dir sagen, was ich denke: Wem nützt der Tod des Königs?«
    Und jedem ist klar, was Macbeth damit meint: Nun werden Malcolm und Donalbain, die Prinzen, das Erbe antreten. Vielleicht regieren sie gemeinsam, vielleicht wechseln sie sich ab, vielleicht bekriegen sie einander. Aber am Ende wird in den Königsstand gehoben – Malcolm oder Donalbain oder beide.
    Oder keiner von beiden.
    Malcolm und Donalbain ahnen, worauf das alles hinausläuft. Der Mord an ihrem Vater wäre lächerlich dilettantisch, wenn man dahinter raffiniertes Kalkül vermuten wollte. So plump kann auch der Dümmste nicht vorgehen. Nein! Nicht das ausgeklügelte Ränkespiel irgendeiner Partei präsentiert hier sein blutiges Resultat. Brutale, primitive Gewalt steckt dahinter, eine Gewalt, die sich vor niemandem rechtfertigen zu müssen glaubt. Die Spuren der Tat wurden nur obenhin verwischt, nur der Form halber. Da will sich einer den Thron nehmen, einer, dem gar nichts an Raffinesse, Intrige, niederträchtiger Eleganz liegt. Da ist einer am Werk, dem nur das Ziel etwas gilt.
    Und so einen gibt es hier. Nur einen. Und Malcolm und Donalbain wissen, gegen den können sie nicht antreten. Und wenn der den Thron will, dann sind sie die nächsten, die ihm im Weg stehen. Sie fliehen. Malcolm nach England, Donalbain nach Irland.
    Das macht keinen guten Eindruck.
    Macbeth tritt vor die Edlen des Hofes. Er hält keine lange Rede, kann er nicht und ist nicht nötig. »Die Königssöhne sind geflohen«, sagt er und fragt: »Haben sie einen Grund?«
    Ja, daß es durchaus verschiedene Gründe geben könnte, würde der eine oder andere gern antworten. Auch Gründe, bei denen Macbeth einiges zu erklären hätte. Aber keiner sagt etwas. Macbeth hat nämlich die Fähigkeit, alle Menschen um sich herum in zwei Gruppen zu teilen: in die, die für ihn sind, und in die, die gegen ihn sind. Und wer gegen ihn ist, ist für die geflohenen Prinzen. Und so einer ist verdächtig. Darum schweigt man.
    Der Thron ist vakant. Macbeth wird in logischer Folge zum König von Schottland gekrönt. – Die zweite Weissagung der Hexen hat sich erfüllt.
     
    Macbeth regiert das Land mit eiserner Faust. Was heißt das? Mordet er? Läßt er Oppositionelle verschleppen? Wahrscheinlich. Man sagt es. Niemand kennt einen, der ermordet worden wäre, niemand einen, der verschleppt worden wäre. Aber beinahe jeder kennt einen, der einen kennt, den ein ähnliches Schicksal heimgesucht hat. Niemand will einen Oppositionellen
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