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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt
Autoren: Michael Köhlmeier
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auf den Weg schicke. Ich warte beim Ziel.«
    Der König will seinen Generälen nicht auf dem Schlachtfeld begegnen. Es wird eine Siegesfeier geben, nach einer Weile, man muß den Helden Zeit lassen, damit sie sich etwas frisch machen. Duncan ist der Friedliebende, Spuren des Krieges machen ihn nervös und traurig, Wunden deprimieren ihn. Er ist gekommen, um den Stand der Dinge zu sehen, und er verläßt das Schlachtfeld wieder, noch ehe seine Generäle erscheinen.
    Die Soldaten fassen ihren Sold aus, die Demobilisierung des Heeres wird von den Offizieren geleitet. Die Generäle machen sich auf den Heimweg.
    Banquo und Macbeth reiten über die Heide, sie sind allein. Beide leben sie etwas abgeschieden. Jetzt, da der Krieg vorbei ist, verbindet sie nichts mehr. Und als sie schweigend über die Heide reiten, geschieht das Ungeheuerliche. Ungeheuerlich ist nicht das große Abschlachten, scharfer Stahl trifft auf weiche Haut, die Folge widerspricht keinem Naturgesetz. Das Ungeheuerliche ist die Verneinung der Logik, ist die Verwirrung der Kausalität. Als ob der Boden sie ausspeien würde, erscheinen vor den Generälen drei Gestalten: Frauen mit Bärten. Hexen. Ein Scherz? Wer würde die Tollkühnheit besitzen, mit Männern wie Banquo und Macbeth einen Scherz zu treiben? Ein Irrbild, eine Halluzination?
    »Ich sehe drei Weiber mit Bärten«, sagt Macbeth.
    »Ich sehe sie auch«, sagt Banquo.
    »Beschreib mir die rechte!« sagt Macbeth.
    »Ihr Gesicht ist blau wie vermodertes Blut«, sagt Banquo. »Beschreib du mir die linke!«
    »Ihr Gesicht ist grün wie Schimmel«, sagt Macbeth.
    Keine Halluzination, nein. Wie sollten die gleichen Irrbilder zur selben Zeit in zwei so verschiedenen Köpfen entstehen?
    Die Hexen begrüßen die Generäle. Zuerst begrüßen sie Macbeth.
    Die erste Hexe, die mit dem blauen Gesicht, sagt: »Heil dir, Than von Glamis!«
    Sie kennt ihn wohl? Than von Glamis ist ein Titel, und nur Macbeth darf ihn tragen.
    Die zweite Hexe sagt zu ihm: »Heil dir, Than von Cawdor!«
    Than von Cawdor? Macbeth ist nicht Than von Cawdor, diesen Titel trägt er nicht, ein anderer trägt diesen Titel. Und es ist kein guter Mann, der diesen Titel trägt. Der hat es mit den Aufständischen gehalten. Es ist eine Beleidigung, mit einem solchen Mann verwechselt zu werden!
    Aber bevor Macbeth gegen diese Beleidigung ausholen kann, meldet sich die dritte Hexe, die grüne, sie sagt: »Heil dir, Macbeth, du künftiger König von Schottland!«
    Es sind Wesen, die es nicht gibt. Weil es sie nicht geben kann. Weil es sie nicht geben darf. Weil sie in keine Logik und in keine Kausalität passen. Aber was sie sagen, wirft ein Licht in die Zukunft. Und Ziele, diese süßen Versprechungen, liegen per definitionem in der Zukunft …
    »Sie haben mich erst als den, der ich bin, dann als Than von Cawdor und zuletzt als König von Schottland angesprochen«, sagt Macbeth, und es klingt verlegen. Aber es klingt auch noch anders, Banquo weiß nur noch nicht wie.
    Und nun wendet sich Banquo an die Hexen: »Und mir? Was habt ihr mir zu sagen? Habt ihr mir nichts zu sagen?«
    Die erste Hexe sagt: »Doch, doch, Banquo. Lauf nicht weg, Banquo!«
    »Ich lauf nicht weg. Sag, was du zu sagen hast!«
    Und mit Blick auf Macbeth sagt die erste Hexe: »Banquo! Du bist kleiner als Macbeth. Aber, Banquo, dennoch bist du größer.«
    Und die zweite Hexe läßt keinen Platz zwischen diesem letzten Wort und ihrem ersten: »Banquo! Du bist nicht so glücklich wie Macbeth. Aber doch bist du viel glücklicher als er!«
    Und die dritte Hexe schließt an: »Banquo, Banquo! Du wirst nie König werden, nicht in Schottland und auch in keinem anderen Land. Aber, Banquo, du wirst der Vater von Königen sein.«
    Nur für einen Moment lassen die beiden Generäle die Hexen aus den Augen, der eine sieht den anderen an, und beide sehen im anderen einen Feind, denn in diesem Moment glauben Macbeth und Banquo an das, was nicht logisch ist und nicht kausal. Aber dann glauben sie wieder, was sie immer glaubten. Und die Hexen sind weg. Luft, die verblasen wird schon durch das Wiehern der Pferde.
    Darüber reden? Ja, das hätten sie sicher gern getan, Macbeth und Banquo. Aber sie hatten keine Gelegenheit dazu.
    Ein Bote kommt geritten. Er springt vom Pferd, geht auf Macbeth zu, Zeigefinger voran, und sagt: »Ich habe eine gute Neuigkeit für dich: Der König hat dich zum Than von Cawdor ernannt!«
    Macbeth: »Aber es gibt doch schon einen Than von Cawdor. Was ist mit
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