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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt
Autoren: Michael Köhlmeier
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Sie stöhnt in der Nacht. Sie schreit. Am Tag meidet sie seine Gegenwart. Die Mauer hat Risse bekommen. Dahinter stehen die Bilder und die Ahnungen: Banquo wird nicht König werden – nein, das wird er nicht mehr, der nicht mehr. Aber er wird der Vater von Königen sein. – Wieder sieht sich Macbeth einen Weg gehen, den er nicht gewählt hat, und er sieht sich als einen Fremden auf diesem Weg. Und ihm wird klamm ums Herz.
    Lady Macbeth erscheint im Saal. Sie kann sich beherrschen. Noch kann sie es. Sie ist guter Dinge. Eine herzliche Gastgeberin. Ein wenig geistesabwesend vielleicht. »Es wäre General Banquo nicht recht, wenn wir auf ihn warten«, sagt sie.
    Und dann erscheint Banquo. Ja, er ist da. Er geht um die Tafel herum und setzt sich auf seinen Platz. Macbeth gegenüber. So daß sie sich in den Augen haben. Aber niemand begrüßt diesen hohen Gast; die rechts und links von ihm sitzen, drehen nicht einmal den Kopf.
    »Ist Banquo da?« fragt Macbeth seine Gemahlin.
    »Nein«, sagt sie.
    »Ich sehe ihn aber.«
    Macbeth spricht mit Banquo. »Was schüttelst du die blutigen Locken gegen mich!«
    Banquo sagt nichts. Banquo ist ein Geist. Ein irreales Wesen. Etwas, das es nicht gibt. Aber die Hexen waren auch Geister, auch irreale Wesen, die es eigentlich nicht gibt. Aber sie waren da. Banquo hat sie gesehen. Und sie haben Ziele gesetzt.
    Macbeth bricht zusammen. Er ist schutzlos seinen Bildern ausgeliefert. Wie er schwach wird, gewinnt sie Stärke.
    »Meine lieben Freunde«, so spricht Lady Macbeth zu den Gästen, »mein Mann fühlt sich nicht wohl. Er arbeitet zuviel. Dann führt er Gespräche mit Menschen, die nicht da sind, die erst später kommen. Er hat manchmal solche Anfälle. Ich bitte um Verständnis. Das Fest ist beendet.«
     
    Macbeth will noch einmal die Hexen fragen. Wie das mit Banquo und dem Vater von Königen gemeint war? Das auch, ja. Aber eigentlich gibt es nur eine Frage: Was wird aus mir? Gehe ich unter? Wie gehe ich unter?
    Er macht sich auf den Weg hinaus in die Heide, allein, sucht die Stelle, wo er und Banquo den Hexen begegnet sind.
    Und sie sind wieder da.
    Sie sagen: »Wir haben alles ausgesprochen, was es für uns auszusprechen gibt.«
    »Es genügt mir aber nicht«, sagt er.
    »Was willst du noch wissen?«
    »Alles. Alles bis zum Ende.«
    »Das wissen wir nicht. Vom Ende haben wir keine Ahnung. Das wissen nur die Erdgeister.«
    »Dann ruft sie herbei!«
    Macbeth zittert wie ein Süchtiger, und das Gift, das er braucht, ist ein Blick in die Zukunft.
    Der erste Geist erscheint. Ein Kind. Ein blutiges Kind.
    Es wischt sich den roten Schleier von den Augen. »Macbeth!« So ein feines Stimmchen, unschuldig und voller Staunen. »Macbeth, achte auf Macduff!«
    »Macduff ist nicht mehr da«, sagt Macbeth. »Wie soll ich auf ihn achten?«
    »Er wird dir dennoch gefährlich werden.«
    Und das Geisterkind mit dem Blutschleier vor den Augen versinkt in den Boden, aus dem es eben erst gewachsen war.
    Dann steigt der zweite Geist empor, wieder ein Kind, mit seinen Händchen umschließt es den Stamm eines Bäumchens. »Macbeth?« fragt es. »Macbeth, hast du Angst?«
    »Ich will nur wissen, was kommt«, sagt Macbeth.
    »Ach, du brauchst keine Angst zu haben, Macbeth! Niemand, der von einer Frau geboren wurde, kann dich besiegen.«
    »Gut, gut, gut!« ruft Macbeth aus. »Alle sind von Frauen geboren worden. Jeder ist Kind. Niemand wird mich besiegen!«
    Da erhebt sich der dritte Geist aus dem Moorboden, auch er ein Kind. »Macbeth«, säuselt er, »was hast du für ein schönes Schloß!«
    »Was ist mit meinem Schloß?«
    »Die Vögel nisten unterm Dach.«
    »Was ist mit den Vögeln unter meinem Dach?«
    »Und hinter dem Schloß wächst ein Wald.«
    »Was ist mit dem Wald?«
    »Macbeth wird erst besiegt werden, wenn dieser Wald auf das Schloß zukommt.«
    »Du redest in schönen Bildern!« begeistert sich Macbeth. »Der Wald hat tiefe Wurzeln! Das wird nie geschehen.«
    Und Macbeth macht sich auf den Heimweg. Gute Hexen, denkt er, gute Geister. Ich will mich an ihre Ratschläge halten, ich will ihren Weissagungen glauben.
    Erstens: Macduff! Kann ja sein, daß er gar nicht nach England geflohen ist, wie gemeldet wurde. Wäre ihm zuzutrauen. Ein tapferer Mann. Nur ein Feigling haut ab. Ein Feigling ist Macduff nicht. Daß er sich vielleicht in seinem Schloß versteckt und auf eine Gelegenheit lauert? Ich soll auf ihn achten? Ich werde auf ihn achten!
    Macbeth schickt Soldaten zum Schloß des Macduff.
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