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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt
Autoren: Michael Köhlmeier
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nicht, daß der General lieben kann. Er kennt Othello besser als die meisten. Vertraut ihm Othello so sehr? Oder ist Jago für den General so wenig vorhanden, daß Diskretion bei ihm gar nicht in Betracht kommt? So weiß Jago zum Beispiel, daß Othello heimlich geheiratet hat: Desdemona, die Tochter des Senators Brabantio. Warum heimlich? Man schätzt es nicht, länger als nötig in des Mohren Gegenwart gesehen zu werden, und als Schwiegersohn will ihn ganz bestimmt niemand haben. Darum haben die beiden heimlich geheiratet, ohne daß Desdemona ihre Familie davon in Kenntnis setzte. Dies ist die weiche Stelle in Othellos Existenz. Die nimmt sich Jago für seine Rache vor.
    Der Intrigant kämpft nie offen, sonst wäre er ja kein Intrigant. Er braucht einen Deppen, der vortritt, während er selbst im Schatten bleibt.
    Jago hat einen solchen Deppen gefunden, nämlich Rodrigo. Rodrigo erweist sich als rundum geeignete Person. Erstens: Er ist reich. Zweitens: Er ist dumm. Drittens: Er ist in Desdemona verliebt.
    Jago sagt zu Rodrigo: »Ich werde es für dich einrichten. Du sollst Desdemona bekommen, und du wirst sie bekommen. Du mußt nur tun, was ich dir sage.«
    »Und was soll ich tun?« fragt Rodrigo.
    »Als erstes gehst du in der Nacht hin. Stell dich vor das Haus des Senators Brabantio, schrei laut, und mach Lärm.«
    »Der Senator wird kommen und fragen, warum ich so einen Lärm mache.«
    »Das soll er ja, Freund, das soll er. Du sagst dann ohne Umschweife: Deine Tochter treibt es mit einem Schwarzen.«
    »Und dann?«
    »Dann bringt der Senator unsere Sache ein gehöriges Stück weiter, du wirst sehen.«
    So macht es Rodrigo, und Brabantio ist außer sich. Er eilt, Pyjama unter der Hose, nächtens zum Senat, läßt alle Senatoren zusammenrufen und erstattet Anzeige. Er möchte das augenblicklich geklärt haben, bevor sich das schwarze Tier auf seiner Tochter wälzt – falls das nicht schon passiert ist. Und wenn es passiert ist, wäre das, so Brabantio, ein Verbrechen. Denn: Wie kann so etwas geschehen? Doch wohl nur mit Hilfe von Drogen oder mit Überredungskünsten, schwarzen Künsten. Niemals würde sich die Tochter des Senators Brabantio freiwillig mit einem Mohren einlassen.
    Da betritt Othello den Senat.
    Sein Erscheinen mitten in der Nacht hat keinen persönlichen Grund, sondern einen militärischen. Es gibt geheimdienstliche Informationen, daß die Türken planen, auf Zypern zu landen. Zypern gehört zum Hoheitsgebiet Venedigs. Ein türkischer Stiefel auf zypriotischem Strand, das bedeutet Krieg. Die Türken sind stark. Man muß den besten General schicken, um Zypern zu verteidigen. Natürlich Othello! Der Herzog persönlich hatte Othello in den Senat gerufen.
    Brabantio aber beharrt darauf, daß seine familiäre Sache zuerst verhandelt wird. Der Herzog sieht das ein. Wie soll Venedig nach außen geeint auftreten, wenn es im Inneren zerstritten ist? Also, Tagesordnungspunkt eins der nächtlichen Versammlung: Tochterraub.
    Othello verteidigt sich. Er spricht ruhig, in einfachen, klaren Worten. Er ist ein Mann, der viel erlebt hat. Und vor allem ist er ein Mann, der gut erzählen kann. Er habe Desdemona kennengelernt und habe ihr sein Leben erzählt. Er habe ihr von all dem Leid erzählt, das er erfahren, und sie habe geweint. Da habe er sich in sie verliebt, weil sie über sein Leid geweint hat; und da hat sie sich in ihn verliebt.
    »Das heißt«, fragt der Herzog, »sie hat sich in dich verliebt, weil du dich in sie verliebt hast, und du hast dich in sie verliebt, weil sie geweint hat? Sie hat sich also in dich verliebt, weil du bemerkt hast, daß sie über dein Leid weint?«
    »Ja«, sagt Othello. Das ist die Antwort eines Mannes, der nur an sich denkt. Aber der Herzog ist beeindruckt, der Senat ist ebenfalls beeindruckt: alles Männer.
    »Da kann man nichts machen«, entscheidet der Herzog. »Die beiden sind verheiratet, und sie sollen beieinander bleiben.« Außerdem braucht Venedig den Othello im Augenblick dringend wegen der Türken.
    Brabantio gibt nach, sein Einverständnis aber gibt er nicht.
    Jagos Stich in die weiche Stelle hat den General nicht zu Fall gebracht. Der Intrigant hat eine Fensterscheibe eingeschlagen. Das Haus steht noch. Jago wartet auf eine nächste Gelegenheit. Sie wird sich bieten.
    Das Heer bricht auf nach Zypern. Jago ist dabei, Michael Cassio, der neue Leutnant, natürlich auch. Und Jago kann es drehen, daß auch Rodrigo auf dem Schiff mitgenommen wird.
    Jago sagt zu Rodrigo:
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