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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt
Autoren: Michael Köhlmeier
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führen, ich will Frieden. Ich möchte, daß wir uns versöhnen.«
    Welch großzügige Geste!
    »Ist es denn keine großzügige Geste?« ereifern sich die, die es mit dem Prinzen halten. Die, deren Sympathie er verloren hat, antworten: »Dann stellt euch nur einmal vor, Claudius wäre auf Hamlet zugegangen und hätte gesagt: Du bist mir einer der Liebsten, sei mir nicht mehr böse, daß ich deinen Vater ermordet habe! Wie, glaubt ihr, hätte Hamlet reagiert? Was ist an Hamlets Schmerz vornehmer? Was erhebt seinen Schmerz über den Schmerz des Laertes?«
    Eine Zeit hat Ruhe geherrscht in Dänemark. Die Gerüchte und Spekulationen, das detektivische Bohren in der Vergangenheit, die Doppel- und Mehrdeutigkeiten all dessen, was geredet wurde, das schien vergessen, vorbei. Und nun fängt das alles wieder von vorne an! Das Gerücht reißt wieder sein Maul auf. Wieder schauen sich die Menschen forschend in die Augen, suchen nach Verstecktem, Verheimlichtem oder nach Einverständnis. Weiß der andere mehr als ich? Was weiß er wirklich? Oder ist alles nur Vermutung? Sollte ich mich bemühen, mehr herauszufinden? Achselzucken und bedeutungsvolle Blicke.
    »Es heißt«, so lautet ein Gerücht, das sich lange halten wird und sich noch lange nach dem Ende zwischen so manches Gespräch schlängeln wird, »es heißt, Claudius habe gar nicht Hamlets Vater ermordet.«
    Darauf wird man zum wiederholten Mal antworten: »Aber er hat es doch selbst zugegeben!«
    »Ihr versteht mich nicht richtig«, wird das Gerücht sagen. »Claudius hat seinen Bruder ermordet, das ist wahr.«
    Und das Gerücht wird endlich aussprechen, was so viele gedacht haben? Nämlich: daß Claudius in Wahrheit Hamlets Vater ist.
    Da wird sich das Gerücht ereifern: »Überdenkt doch einmal die ganze Geschichte! Erinnert euch an Hamlet, ruft euch jede seiner Gesten in die Gegenwart, jedes seiner Worte! Wovor hatte er solche Angst, wenn nicht vor dieser Wahrheit? Warum türmte er so viele Worte übereinander, wenn nicht, um diese Wahrheit dahinter zu verbergen? Ausgerechnet Hamlet sollte nicht gewußt haben, daß seine Mutter und Claudius sich ihr Wort gegeben haben, lange bevor sie den König heiratete?«
    »Und wenn es nicht so ist«, wird dem Gerücht entgegengetreten.
    »Wenn es nicht so ist, hätte es wenigstens sein können.«
    »Und wer dachte so?«
    »Vielleicht niemand – außer Hamlet selbst.« – Brich, mein Herz, denn meine Zunge muß schweigen!
     
    Claudius ist eine Bestie. Ein böser Mensch. Ein böser Mensch mit Skrupeln und schlechtem Gewissen. Er mordet, und dann beichtet er, spricht mit seinem Gott, bittet um Vergebung. Und ist bald darauf bereit, wieder zu morden. Er will Hamlet loswerden. Er muß ihn loswerden. War der Prinz vor seiner Reise nach England ein verwirrter, fanatischer Träumer, so ist er inzwischen gereift. Claudius macht sich nichts vor. Inzwischen wäre Hamlet in der Lage, das Reich zu führen. Er hat Anspruch auf den Thron, er wird diesen Anspruch geltend machen. Also muß er weg.
    Claudius faßt einen Plan. Niemand soll hinterher sagen, er habe Hamlet getötet. Gerüchte kann Claudius nicht leiden, Gerüchte gibt es zu viele in Dänemark. Die Leute interessieren sich inzwischen schon mehr für das, was sein könnte, als für das, was ist. Hamlet soll sterben vor den Augen aller, und alle sollen sehen, daß Claudius unschuldig ist.
    Claudius bietet sich als Vermittler zwischen Hamlet und Laertes an. »Furchtbare Dinge sind geschehen«, sagt er zum Sohn des Polonius. »Alle haben gelitten, jedem ist Unrecht geschehen. Die Herzen sind bitter geworden. Es muß ein Ende sein. Hamlet hat dir seine Hand gereicht. Nimm sie an!«
    Laertes ist ein aufrichtiger Mann. Er will Frieden. Er will nach Italien zurückkehren. Er will Dänemark vergessen. Er reicht Hamlet die Hand.
    Ein symbolischer Akt soll diesen vorbildlichen Frieden beschließen, schlägt Claudius vor. Hamlet und Laertes sollen einen freundschaftlichen Fechtkampf austragen. Am Ende, so Claudius, werden beide Sieger sein, Hamlet und Laertes werden Wein trinken, werden anstoßen, und alles wird gut sein.
    Hamlet willigt ein.
    Claudius ist eine Bestie. Er vergiftet eine der Degenspitzen, und in einen der beiden Kelche gibt er Gift. Aber sein Plan geht nicht auf. Die Degen werden vertauscht, Hamlet ersticht Claudius, Laertes wird tödlich verwundet, Hamlet wird tödlich verwundet, Gertrude trinkt den vergifteten Wein.
    Der Tod macht alle gleich.
    Hamlet stirbt in den Armen
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