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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt
Autoren: Michael Köhlmeier
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daß Claudius ihn ausspionieren läßt. Weiß Claudius, daß Hamlet ihn für den Mörder seines Vaters hält?
    Die direkte Auseinandersetzung mit seinem Oheim scheut Hamlet. Claudius soll sich selbst entlarven.
     
    Eine Schauspielertruppe gastiert in der Stadt. Hamlet kennt den Impresario und die Akteure von früher.
    »Ich möchte, daß ihr im Schloß spielt«, sagt er.
    »Und was sollen wir spielen? Wir haben ein umfangreiches Repertoire.«
    »Ein neues Stück. Nehmt euch Zeit, es einzustudieren.«
    Hamlet selbst hat das Stück geschrieben. Er hat sich dabei auf eine alte Vorlage berufen. »Die Mausefalle« lautet der Titel. Und das ist der Inhalt: Ein König wird von seinem Bruder ermordet. Dann heiratet der Mörder die Königin.
    »Und wie geht es weiter?« fragt der Impresario.
    »Es geht nicht weiter«, sagt Hamlet.
    »Es muß ein zweiter Wendepunkt in einem Stück sein«, belehrt ihn der Theatermann. »Sonst ist es kein Drama.«
    »Das Leben ist kein Drama«, kontert Hamlet. »Mein Stück soll sein wie das Leben.«
    Der Prinz zahlt gut, also was soll’s. Er zahlt so gut, daß man ihm schlecht verwehren kann, bei den Proben dabei zu sein. Und er zahlt so gut, daß man keinen Grund sieht, sich nicht dreinreden zu lassen.
    »Weniger Pathos«, kritisiert Hamlet. »Ich will nicht, daß ihr brüllt und mit leerem Blick ins Leere starrt, und ich will auch nicht, daß ihr dauernd mit den Händen die Luft zersägt.«
    »Aber so geht Gefühl auf der Bühne!«
    »Ich will kein Gefühl auf der Bühne«, bestimmt Hamlet.
    »Aber wo denn?«
    »Beim Zuschauer!« Und er denkt sich: bei nur einem Zuschauer und nur bei ihm. Die anderen sind ihm gleichgültig.
    »Mutter«, sagt Hamlet, »ich wünsche mir, daß du erlaubst, daß ich euch mit einer kleinen Theateraufführung beschenke. Die Akteure spielen unter meiner Leitung, das Stück habe ich selbst geschrieben.«
    Gertrude sieht die neue Liebhaberei ihres Sohnes mit Wohlwollen und Erleichterung. Gut, es mag kindisch sein für einen Mann in seinem Alter und seinem Rang, sich mit Karrenziehern abzugeben, aber es bringt ihn auf andere Gedanken und scheint ihn zu begeistern.
    Claudius verhält sich vorsichtig, er geht nicht mehr mit offenen Armen auf Hamlet zu, das war einmal. Aber dann denkt er sich, ich habe ihn überschätzt. Er ist ein weiches, verwöhntes Kind, das eben verschiedene Phasen durchmacht: Weinen, Fußaufstampfen, Verwirrtsein und so weiter. Nun scheint es, hat er sich einigermaßen gefangen. Es kommt Claudius sogar der Gedanke, das Schauspiel könne ja auch als eine Art Friedensangebot an ihn gewertet werden. Und einen Augenblick denkt Claudius: Es wird alles gut.
    Hamlets Plan geht auf. Das Stück benötigt keinen zweiten Wendepunkt. Als der Bruder auf der Bühne den König ermordet, verläßt Claudius bleich seinen Platz und stürzt hinaus. – Jetzt weiß Claudius, daß Hamlet es weiß.
     
    Der Geist hat ihm aufgetragen, den Mord zu rächen. Und es bietet sich für Hamlet eine Gelegenheit dazu. Es ist Nacht. Alle schlafen. Nur Hamlet schleicht noch durch die Gänge. Er kann nicht schlafen, und er will nicht schlafen. Da kommt er an der Hauskapelle vorbei, und im Schein des ewigen Lichts sieht er seinen Oheim knien. Claudius betet. Es wäre ein leichtes, von hinten an ihn heranzutreten und ihn zu erdolchen.
    Hamlet tut es nicht. Er betrachtet den breiten Rücken seines Feindes. Er hört ihn beten, versteht aber die Worte nicht. Wir verstehen sie. Claudius bekennt vor sich und vor seinem Gott, was er verbrochen hat. Damit ist es bewiesen.
    Es gab immer wieder Verteidiger des Claudius. Die sagten: »Wer behauptet seine Schuld? Nur Hamlet und ein Geist. Hamlet ist verrückt.« – »Und der Geist?« hielt man dagegen. »Den hat sich ja nicht ein Verrückter eingebildet. Ja, wenn ihn nur Hamlet gesehen hätte, dann könnte man sich auf Wahnvorstellungen hinausreden.« Die Antwort der Verteidiger des Claudius war bemerkenswert: »Wo steht geschrieben«, sagten sie, »daß Geister nicht lügen? Zumal solche, die in Schwefelglut braten, wie sie selber sagen. Was hat der alte König eigentlich in seinem Leben angestellt, daß er als Geist so viel büßen muß?« – Wie auch immer, die Verteidiger des Claudius haben nicht Recht bekommen: Claudius hat seinen Bruder ermordet. Er hat es selber zugegeben. Eben in jener Nacht in der Kapelle des Schlosses.
    Und Hamlet stand hinter ihm in der Tür. Ein Schritt, eine Bewegung mit der Hand, und der Mord an seinem Vater
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