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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt
Autoren: Michael Köhlmeier
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denn meine Zunge muß schweigen!« – Und vielleicht kommt es in letzter Wahrheit auch nicht darauf an, was gedacht wird, sondern auf das, was man nicht einmal zu denken wagt.
    Am Ende des Gespräches mit seiner Mutter bemerkt Hamlet, wie sich ein Vorhang bewegt. Da versteckt sich doch einer! Hamlet zieht den Degen und sticht zu. Vielleicht glaubt er, es sei Claudius, der ihn und seine Mutter belauscht hat. Kann sein. Ist sogar wahrscheinlich, daß Hamlet das glaubt. In der Kirche konnte er ihn nicht töten, hier in einem neutralen Raum des Schlosses könnte er. Der Ort ist nicht geweiht und die Seele des Mörders inzwischen wieder schwarz. – So würde Hamlet wahrscheinlich antworten, wenn er sich selbst danach fragte.
    Hamlet redet und redet und redet, und allen wirft er die Wahrheit an den Kopf, niemanden schont er; und das alles womöglich nur, um nicht jene Wahrheit zu hören, die aus dem Abgrund seines eigenen Herzens hallt. Angenommen, Claudius steht hinter dem Vorhang. Angenommen, Gertrude und Claudius haben das ausgeheckt, nämlich daß sie den Sohn in ein Gespräch lockt, daß sie auf ihn einwirkt, ihn empfänglich macht. Empfänglich nämlich für die Wahrheit, die letzte Wahrheit. Daß dann Claudius vor den Vorhang tritt und sie beide alles erklären. Alles. Eben wirklich alles. Aber alles will Hamlet nicht wissen. Da sticht er lieber zu.
    Es ist nicht Claudius, der hinter dem Vorhang steht, sondern Polonius, der Oberkämmerer, der im Auftrag des Claudius lauschen sollte. Sein Tod ist für Hamlet kaum einen Gedanken wert. Und daß er soeben den Vater von Ophelia, die er einst liebte, getötet hat und den Vater von Laertes, der ihn so sehr bewunderte, das geht in einem Schulterzucken unter.
    Schließlich herrschen immer noch Recht und Ordnung am Hof von Dänemark. Ein Mann ist ermordet worden. Da kann man nicht so ohne weiteres zur Tagesordnung übergehen. So argumentiert ausgerechnet Claudius.
    Er sagt: »Du mußt Dänemark verlassen, Hamlet.«
    Zu Gertrude sagt er: »Wir können ihn nicht hierbehalten, er ist irrsinnig geworden. In der gegenwärtigen politischen und militärischen Situation stellt Hamlet ein Risiko für das ganze Land dar.«
    Es wird beschlossen, Hamlet nach England zu schicken. Rosenkranz und Güldenstern sollen ihn begleiten. Claudius hat Freunde in England, er gibt den beiden einen versiegelten Brief mit, in dem Brief steht: »Hamlet ist zu töten!«
    So einfach geht es natürlich nicht. Hamlet bricht das Siegel, liest den Brief, schreibt ihn um. Jetzt lautet der Text: »Rosenkranz und Güldenstern sind zu töten.«
     
    Lange bleibt Hamlet von zu Hause fort. Was macht er in England? Wir wissen es nicht. Erst heißt es, Hamlet sei tot. Dann heißt es, er sei knapp einem Mordkomplott entgangen, Rosenkranz und Güldenstern seien über ihn hergefallen, aber er habe sie geschlagen. Das kann sich keiner so richtig vorstellen. Verschiedene Versionen machen die Runde. Allmählich wird es still um Hamlet. Gerüchte brauchen Nahrung, es kommt nichts Neues aus England nach.
    Und dann ist er wieder da. Nicht angekündigt. Und er hat sich sehr verändert. Er redet nicht mehr so viel. Er wirkt versöhnlicher. Die einen sagen, er habe sich abgefunden, zu seinem eigenen Glück treibe ihn nun nicht mehr der Gedanke nach Rache durch den Tag. Die anderen aber sagen: »Die Rache ist abgekühlt. Das macht ihn um so gefährlicher.«
    Noch jemand ist an den Hof von Helsingör zurückgekehrt: Laertes, der Sohn des Polonius. Laertes studierte in Italien, im sonnendurchfluteten Italien.
    »Was führt dich ins nebelige Dänemark zurück«, erkundigt sich Hamlet.
    Ausgerechnet Hamlet fragt das? Laertes ist ein junger Mann, dessen Vater ermordet wurde. Und nicht nur das! Laertes hat eine Schwester, sie hat den Verstand verloren.
    »Ophelia hat den Verstand verloren?«
    Kann er sich das nicht erklären, der Prinz? Seinetwegen! Sie ist an ihrer Liebe zu ihm zerbrochen. Sie hat es nicht verkraftet, daß der Mann, den sie liebte, ihren Vater getötet hat und dann nicht ein Wort, nicht ein kleines Wort des Mitleids fand. Derselbe Mann, der Himmel und Hölle in Bewegung setzte, um seine eigene heilige Rache zu stillen, kann er sich nicht vorstellen, daß das Herz eines anderen Menschen ebenfalls brechen kann, wenn ihm der Vater genommen wird? Und die Schwester genommen wird!
    Hamlet geht auf Laertes zu, reicht ihm die Hand. »Du warst mir immer einer der Liebsten hier«, sagt er. »Ich will nicht Krieg mit dir
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